5 258. Der Gläubiger der Inhaberschuldverschreibung. 393
deckt sich auch mit dem oben in der Besitzlehre entwickelten Begriff der possesso-
rischen Inhabung nicht.
Beispiele. I. A. hat eine ihm gehörige Inhaberschuldverschreibung dem Rechtsanwalt
B. zur Erhebung der Klage gegen den Aussteller übergeben, und B. hat sie seinem Schreiber
C. zwecks Anfertigung einer Abschrift ausgehändigt. Hier ist A. mittelbarer, B. unmittel-
barer Besitzer, C. possessorischer Inhaber der Urkunde. Im Sinn des Schuldrechts der In-
haberschuldverschreibungen gilt aber als Inhaber der Urkunde sowohl A. wie B. wie C.
II. Derselbe Fall; nur hat B. dem A. die Prozeßvertretung gekündigt, verweigert aber die
Herausgabe der Urkunde, bis A. ihm die Gebühren bezahlt. Hier ist Inhaber der Urkunde
im Sinn des Schuldrechts der Inhaberschuldverschreibungen nur B. und C., während A.,
obschon sein mittelbarer Besitz an der Urkunde noch fortdauert, der Inhabung darbt.
6) Verfügungsberechtigt ist der Regel nach der Eigentümer der Urkunde.
Doch kann neben ihm oder statt seiner das Verfügungsrecht auch andern Per-
sonen zustehn. Erwähnt seien hier folgende Fälle.
ga) Besteht an der Urkunde ein Nießbrauch, so ist verfügungsberechtigt
auch der Nießbraucher, jedoch nur mit denselben Beschränkungen wie der Nieß-
braucher einer gewöhnlichen nicht durch eine Inhaberschuldverschreibung ver-
brieften Forderung (s. 1081, 1083, 1077, 1078).
66) Besteht an der Urkunde ein Pfandrecht, so ist — wenigstens soweit es sich
um die Kündigung und Einziehung der Forderung aus der Urkunde handelt —
allein der Pfandgläubiger verfügungsberechtigt, und zwar ohne die Beschränkungen,
denen ein Pfandgläubiger bei gewöhnlichen nicht durch eine Inhaberschuldverschrei-
bung verbrieften Forderungen unterliegt, also namentlich auch dann, wenn die
Oberforderung, zu deren Sicherung das Pfandrecht dient, noch nicht fällig ist oder
wenn sie nicht auf Geld oder auf eine geringere Geldsumme als die Forderung
aus der Schuldverschreibung geht (s. 1294).
Beispiel. A. hat eine ihm gehörige von B. ausgestellte Inhaberschuldverschreibung dem
C. als Pfand übergeben; die Forderung aus der Urkunde gegen B. ist am 1. April, die
Oberforderung des C. gegen A. ist erst am 1. Oktober 1912 fällig. Hier kann C. die For-
derung aus der Urkunde gegen B. schon am 1. April geltend machen (1294); dagegen kann
er eine Veräußerung der Urkunde mittels Pfandverkaufs erst nach dem 1. Oktober vornehmen
(1293, 1228).
5)) Hat der Eigentümer der Urkunde einen andern ermächtigt, die For-
derung aus der Urkunde im eignen Namen einzuziehn, so ist — wenigstens
soweit es sich um die Einziehung der Forderung handelt — neben dem Eigen-
tümer auch der Ermächtigte verfügungsberechtigt.
Freilich ist dieser Ausdruck ungenau: s. oben Bd. 1 S. 195 Abs. 3.
Tc) Aus den Regeln zu a folgt, daß die Inhabung einer Inhaberschuld-
verschreibung, obschon ihr Dasein das Gläubigerrecht aus der Urkunde nicht
immer gewährt und ihr Mangel für sich allein das Gläubigerrecht aus der
Urkunde noch nicht ausschließt, dennoch für dies Gläubigerrecht von zwiefacher
Bedeutung ist: einerseits braucht der Inhaber, wenn er das Gläubigerrecht
ausüben will, nicht zu beweisen, daß er zur Verfügung über die Urkunde be-
rechtigt ist, sondern kann abwarten, bis ihm der etwaige Mangel eines solchen