396 Buch IV. Das Recht der Urkunden.
a) wenn der Gläubiger an der Vorlegung oder Rückgabe der Urkunde
durch Umstände verhindert ist, die der Aussteller selber zu vertreten hat?,
6) wenn die Urkunde für kraftlos erklärt ist (unten S. 400).
Beispiele. I. 1. A. hat eine von B. ausgestellte Inhaberschuldverschreibung, die auf
Zahlung von 1000 Mk. gegen dreimonatige Kündigung geht, rechtmäßig erworben und dem
C. zur Aufbewahrung gegeben. Hier kann A. nur unter Vorlegung der Urkunde kündigen,
muß also die Kündigung durch C. bewerkstelligen oder sich die Urkunde zum Zweck der Kün-
digung von C. zurückgeben lassen. 2. Derselbe Fall; nur hat A. für die Urkunde als Ver-
wahrer den Aussteller B. berufen. Hier kann er auch ohne Vorlegung der Urkunde kündigen.
II. Analoge Regeln gelten, wenn A. nach erfolgter Kündigung die Zahlung der 1000 Mk.
fordert; er muß also im Fall I, 1 die Urkunde — sei es in Person, sei es durch Vermitt-
lung des C. — dem B. zurückgeben, während es im Fall I, 2 einer Rückgabe der Urkunde
nicht bedarf.
Leistet der Schuldner nur eine Teilzahlung, so braucht ihm die Urkunde selbstver-
ständlich nicht zurückgegeben zu werden. Wohl aber ist die Teilzahlung auf der Urkunde
selbst zu quittieren, damit der Schuldner sich auf sie gegen jeden späteren Erwerber der Ur-
kunde berufen kann (s. unten S. 397, 1 b). Eine solche Teilquittung bleibt auch dann wirk-
sam, wenn der Gläubiger sie später unbefugtermaßen durchstreicht; denn hierin liegt eine
Verfälschung der Urkunde, auf die der Schuldner sich gleichfalls gegen jeden späteren Erwerber
berufen kann (s. unten S. 397, 1t).
c) Für die Vorlegung der Urkunde zwecks Einziehung der Forderung be-
steht eine Ausschlußfrist: wenn die Urkunde nichts andres bestimmt, beginnt
die Frist mit der Fälligkeit der Forderung und dauert dreißig Jahre; legt der
Gläubiger die Urkunde nicht binnen dieser Frist dem Schuldner zur Einlösung
vor, so erlischt die Forderung (801 1 Satz 1, III).
Beispiel. Eine Inhaberschuldverschreibung ist zahlbar, wenn sie drei Monate zuvor
gekündigt ist; die Kündigung ist vor dem 1. April 1912 unzulässig; tatsächlich erfolgt sie am
1. April 1915. Hier läuft die Vorlegungsfrist, wenn nur der Aussteller kündigungsberechtigt
ist, am 1. Juli 1945 ab. Dagegen wird, wenn das Kündigungsrecht auch dem Gläubiger
zusteht, nach Analogie von 199 anzunehmen sein, daß der Fristablauf schon am 1. Juli 1912
erfolgt.
Der Vorlegung der Urkunde soll die gerichtliche Geltendmachung der Forderung aus
der Urkunde gleichstehn (801 1 Satz 3). Nun ist aber diese gerichtliche Geltendmachung, wie
zu b erwähnt, nur unter Vorlegung der Urkunde möglich. Der Sinn der obigen Regel ist
also nicht, daß die Vorlegung ganz unterbleiben, sondern daß sie statt beim Aussteller auch
beim Gericht erfolgen kann.
4) Eine Verjährung läuft gegen die Forderung aus der Urkunde erst mit
dem Ablauf der Vorlegungsfrist; die Verjährungsfrist beträgt, wenn die Ur-
kunde sie nicht kürzer bestimmt, zwei Jahre (801 1 Satz 2, 225).
Beispiele. I. Ist in dem ersten zu c genannten Fall die Urkunde dem Aussteller an
irgendeinem Tage der Zeit vom 1. Juli 1915 bis 1. Juli 1945 zur Einlösung vorgelegt, so
verjährt die Forderung gleichmäßig am 1. Juli 1947. II. Ist sie später vorgelegt, so ver-
jährt sie überhaupt nicht; denn sie ist ja alsdann schon am 1. Juli 1945 gänzlich erloschen
und somit keiner Verjährung mehr unterworfen. «
e) Ist die Urkunde so beschädigt oder verunstaltet, daß sie nicht mehr
zum Umlauf geeignet ist, so kann der Gläubiger von dem Aussteller auf seine
3) Siehe Entsch. des ROG. 10 Nr. 30.