Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

§ 314. Ehehindernisse. Irrtum bei Eheschließung. 543 
a) Bestehn diese Umstände in persönlichen Eigenschaften des andern Ehe- 
gatten, so ist der Irrtum immer erheblich (1333). 
b) Sind die Umstände vermögensrechtlicher Art, so ist der Irrtum nie- 
mals erheblich (1334 II). 
Tc) Im übrigen ist der Irrtum erheblich, wenn er von dem andern Gatten 
oder mit dessen Wissen von einem Dritten arglistig veranlaßt ist und den ge- 
täuschten Gatten erweislich zur Eingehung der Ehe bestimmt hat (1334 D. 
Beispiele. I. 1. Die Brautleute A. und B. begeben sich nach erfolgtem Aufgebot zum 
Standesbeamten, um ihm anzuzeigen, daß sie von der Eheschließung einstweilen Abstand 
nehmen; der Standesbeamte meint aber, die beiden wollten heiraten; er stellt deshalb, indem 
er zwei Zeugen herbeiruft, an A. und B. die vorgeschriebenen Eheschließungsfragen, erhält 
auch, da A. und B. des Deutschen unvollkommen mächtig sind und seine Fragen mißverstehn, 
von ihnen das Jawort und erklärt sie kraft des bürgerlichen Gesetzbuchs für Eheleute. Hier 
ist der Irrtum erheblich. 2. Anders läge der Fall, wenn A. und B. ihr Jawort bewußt 
abgegeben haben, nur weil sie sich vor den Zeugen „genierten“ und der Meinung waren, 
wenn die Zeugen weggegangen seien, sei es noch Zeit, den Standesbeamten über das Miß- 
verständnis aufzuklären. Hier ist dieser Irrtum unerheblich; A. und B. sind fürs Leben 
gebunden. II. 1. C., der nach Amerika ausgewandert ist, bewirbt sich nach Ablauf einer 
Reihe von Jahren brieflich um seine Jugendliebe bei deren Vater D.; dieser nimmt „namens 
seiner Tochter“ die Bewerbung an, indem er verschweigt, daß C.s Jugendliebe gestorben und 
ihr Rufname auf eine etwas jüngere Schwester übergegangen ist; C. heiratet darauf tat- 
sächlich, ohne den Irrtum wahrzunehmen, die jüngere Schwester. Hier ist der Irrtum er- 
heblich, auch wenn C. selber zugestehn muß, daß beide Schwestern im Aussehn und Charakter 
zum Verwechseln ähnlich seien. 2. Dagegen wäre der Irrtum unerheblich, wenn C. von zwei 
ihm gleichmäßig bekannten Schwestern die eine heiratet, weil er sie für die ältere hält, während 
sie in Wahrheit die jüngere ist; denn hier liegt nicht ein Irrtum über die Person, sondern 
ein Irrtum über eine unerhebliche Eigenschaft der Person vor. III. E. heiratet die F., obschon 
er sie und sie ihn nicht leiden kann; das einzige Motiv ist für ihn, daß er auf eine reiche 
Zulage von dem Vater der F. rechnet, für sie, daß sie sich sehnt, Mutter zu werden; nach 
der Hochzeit stellt sich heraus, daß beide Gatten sich gröblich geirrt haben: denn der Vater 
der F. ist bankerott, und das Mutterglück ist ihr von der Natur für immer versagt. Hier 
ist der Irrtum wegen der Zulage bei beiden Gatten unerheblich; ebenso ist der Irrtum der 
F. wegen ihrer Unfruchtbarkeit unerheblich, da es sich dabei um ihre eigne Eigenschaft 
handelt; dagegen ist der Irrtum des E. wegen der Unfruchtbarkeit seiner Frau erheblich, 
auch wenn ihm diese Unfruchtbarkeit nachweislich erwünscht ist und jetzt nur als Vorwand dient, 
nachdem sich die Armut der F. herausgestellt hat.5 IV. Frau G. hat den H. geheiratet, ohne 
zu wissen, daß dieser vor Jahren im Zuchthause gesessen hat. Hier ist der Irrtum der G., 
weil er keine „Eigenschaft“ des H. betrifft, nur erheblich, wenn die G. mit Wissen des 
Mannes über dessen Vorleben arglistig getäuscht ist.“ Aus dem nämlichen Grunde ist der 
Irrtum der Frau über eine einstmalige körperliche oder geistige Krankheit des Mannes nur 
erheblich, wenn die Krankheit als eine Eigenschaft offen oder versteckt auch noch zur Zeit der 
Eheschließung an ihm haften geblieben? oder aber arglistig verschwiegen ist. V. J. wird 
von seiner Frau durch Vorlegung gefälschter Papiere arglistig darüber getäuscht, daß sie 
absolut unvermögend ist; er ist der Täuschung nur zum Opfer gefallen, weil er pedantisch 
rechtlich ist und nicht ahnte, daß seine Braut einer Lüge fähig sei. Hier ist der Irrtum J.s 
erheblich, nicht weil er das Vermögen, sondern weil er den Charakter der Frau betrifft. 
Hiernach ist die rechtliche Bedeutung des Irrtums bei der Eheschließung im ganzen 
weit geringer als bei dem Abschluß sonstiger Verträge. Hervorzuheben ist namentlich, daß 
5) Abw. Endemann 2 § 162a“. 
6) Rietschel, Arch. f. ziv. Pr. 104 S. 358. Abw. Endemann § 162 % „2. Vgl. aber 
RW. 52 S. 310. 7) RG. 73 S. 135. 
Cosadk, Bürgerl. Recht. 5. Aufl. II. 35
	        
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