§ 316. Ehescheidung. 551
Beispiele. I. A. verläßt seine Ehefrau B. böslich, wenn er ohne Grund sich aus seiner
bisherigen Häuslichkeit entfernt oder wenn er selber darin bleibt, aber die B. ohne Grund
daraus ausschließt, vorausgesetzt, daß er bei diesem Verhalten ein Jahr lang verbleibt, nach-
dem die B. ein rechtskräftiges Erkenntnis gegen ihn erstritten hat, das ihn zur Wieder-
herstellung der häuslichen Gemeinschaft verurteilt. II. Derselbe Fall; nur sucht A. sein
Verhalten dadurch zu rechtfertigen, daß er angibt, seine Fran verderbe ihm durch ihr pro-
saisches Wesen die poetische Stimmung, die er für seine Schriftstellerei nötig habe; tatsächlich
bringt aber A. aus Mangel an Phantasie auch getrennt von seiner Frau selbst die be-
scheidenste Dichtung nicht zustande. Hier ist A. selbstverständlich im Unrecht; trotzdem liegt
keine „bösliche“ Verlassung vor, es sei denn, daß A. an die Stichhaltigkeit seines Grundes
selber nicht glaubt. III. Derselbe Fall; nur ist die B., da sie die poelischen Stimmungen
ihres Mannes unerträglich findet, selber mit der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft
einverstanden und klagt nur zum Schein auf Wiederherstellung der Gemeinschaft, in der
sichern Erwartung, daß A. dem Urteil nicht Folge geben werde. Hier liegt eine bösliche
Verlassung gleichfalls nicht vor. —
d) Der Beklagte hat durch sonstige schwere Verletzung der Pflichten, die
die Ehe ihm auferlegt hat, oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten eine
so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet, daß dem Kläger die
Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann (1568).
Beispiele. I. Ein Gatte mißhandelt den andern. II. Der Mann vernachlässigt seine
eheherrlichen, die Frau ihre hausfräulichen Pflichten gröblich, indem wochenlang jener sich
um die Beschaffung des Unterhalts, diese sich um den Gang des Hauswesens nicht kümmert.
III. Ein Gatte ergibt sich dem Trunk. IV. Der Mann erregt durch die rohe Art, mit der
er seine Kinder erster Ehe behandelt, bei der zweiten Frau Argernis.
e) Der Beklagte ist seit mindestens drei Jahren derart in Geisteskrank-
heit verfallen, daß die geistige Gemeinschaft mit dem Kläger aufgehoben und
jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist (1569).
2. a) Die ersten vier Ehescheidungsfälle setzen eine Verschuldung und
zwar die ersten drei eine vorsätzliche, der vierte eine vorsätzliche oder grobfahr-
lässige („schwere") Verschuldung des Beklagten voraus. Im fünften Fall ist
eine Verschuldung des Beklagten nicht erforderlich.
b) Der Tatbestand der ersten drei Fälle sowie der des fünften Falls ist
„absolut“, d. h. ohne Rücksicht auf die besondern Verhältnisse der Ehegatten
bestimmt.“ Im vierten Fall sind diese Verhältnisse, namentlich der Stand und
das Vorleben der Gatten, von allergrößter Erheblichkeit.
Beispiele. I. Zwei Brüder leben in unglücklicher Ehe; der eine behandelt seine Frau
mit eisiger Höflichkeit wie eine Fremde; der andre kommt mit seiner Frau für gewöhnlich
besser aus, leidet aber an Tobsuchtsanfällen und mißhandelt in solchen Anfällen die Frau
aufs schlimmste, ja er macht sogar Versuche, sie zu töten. Hier liegt ein Ehescheidungsgrund
nur in der Person des höflichen Bruders vor (1568), nicht aber in der des tobsiüchtigen;
denn nur jener handelt schuldhaft, dieser nicht. II. Zwei Gatten sind bei ihrer Verheiratung
einig in konservativer, kirchlicher Gesinnung; später fällt der Mann von seinem Kinderglauben
ab und tritt trotz aller Bitten der Frau in leidenschaftlicher Agitation für Sozialismus und
Atheismus ein; die Frau ist darüber so entrüstet, daß sie die Lebensgemeinschaft mit dem
Mann aufhebt; sie bleibt zwar bei ihm, aber nicht als sein Weib, sondern nur als Vor-
steherin seines Hauswesens. Hier sällt dem Mann kein Verschulden zur Last, wohl aber der
4) Abw. für den fünften Fall A. Schmidt a. a. O. S. 15.