§ 180. Offentlicher Glaube, Fiktion der Unfehlbarkeit des Grundbuchs. 43
auf dreißig Monate angegeben. Hier kann A. sich auf diese Angabe berufen, auch wenn er
sich das Grundbuch beim Erwerbe des Hauses nicht angesehn und aus Mangel an Ge-
schäftskenntnis nach den Kündigungsfristen der Hypotheken nie gefragt hat. Ja es schadet
u#m nicht einmal, wenn er sich „gedacht“ hat, die Kündigungsfrist werde bei allen zehn
Hypotheken die gesetzliche Frist von drei Monaten sein; denn „sich denken, daß etwas sein
wird“ und „wissen, daß etwas ist“ sind grundverschiedene Dinge. Doch hat das Reichs-
gericht in einer sehr willkürlichen Entscheidung das Gegenteil angenommen.5 2. C. ist am
1. März als Eigentümer der beiden Häuser x und y im Grundbuch eingetragen worden,
und zwar auf Grund einer von dem bisherigen Eigentümer D. am nämlichen Tage erklärten
Auflassung; diese Eintragung ist aber unrichtig, weil die Auflassung zwischen C. und D.
nur zum Schein vorgenommen ist, mithin D. sein Eigentum an beiden Häusern behalten
hat; nun veräußert C. am 1. Mai x an E., y an F.; beide haben noch vor der Ver-
äußerung erfahren, daß C. die Häuser nur zum Schein erworben hat; sie haben sich aber
totzdem auf den Handel eingelassen, E., weil er sich willkürlich einbildete, daß eine zum
Schein vorgenommene Übereignung durch die Eintragung im Grundbuch gültig werde, F.,
weil C. ihm ein geschickt gefälschtes Schreiben des D. vorlegte, in dem dieser seine Ein-
willigung in die Veräußerung der beiden Häuser durch C. erklärte. Hier ist das Verhalten
des E. von gröbster, geradezu frivoler Fahrlässigkeit, während dem F. auch nicht das
mindeste Verschulden zur Last fällt. Trotzdem ist die Veräußerung an F. ungültig, die an
E. ist gültig; denn F. hat in dem enischeidenden Augenblick gewußt, daß C. trotz seiner
Eintragung im Grundbuch das Eigentum der Häuser nicht erlangt hatte, E. hat es nicht
gewußt. Die Unrichtigkeit des Grundbuchs war also dem F. bekannt, dem E. unbekannt.
II. H., der im Grundbuch als Eigentümer von 2 eingetragen ist, läßt z am 1. Mai dem
J. auf; unmittelbar vor der Auflassung erhält J. einen Eilbrief, in dem überzeugend klar-
gestellt wird, daß nicht H., sondern K. Eigentümer von 2 ist. Hier wird J. durch diese
Mittellung nicht berührt, wenn er sie ruhig in die Tasche steckt und erst nach der Auflassung
liest. III. Hintereinander sind als Eigentümer eines Guts eingetragen: 1908 L., 1909 M.,
1910 N., 1911 O., und zwar ein jeder auf Grund einer Auflassung, die der früher ein-
getragene Eigentümer zugunsten des Nachmanns vorgenommen hat; nun war aber die Auf-
lassung des L. an M. unwirksam, weil L. 1909 noch minderjährig war und weder Vormund
noch Vormundschaftsgericht eingewilligt hat; M. und O., die beide mit L. nahe bekannt
sind, haben diesen Sachverhalt schon bei Vornahme der Auflassung von 1909 gekannt: N.
hat ihn erst 1912 erfahren. Hier hat nicht bloß der sachunkundige N., sondern auch der sach-
kundige O. das Eigentum des Hauses erlangt; denn die Sachkenntnis des O. bezog sich ja
nur aus den Umstand, daß M. durch die Auflassung von 1909 nicht Eigentümer geworden
ist; dieser Umstand ist aber belanglos, weil O. sein Eigentum ja nicht von M., sondern von
N. ableitet und dessen Eigentumserwerb durch die Fiktion der Unfehlbarkeit des Grundbuchs
ein für allemal gesichert ist. Endergebnis: das Gut hat 1908 und 1909 dem L., 1910 dem
., 1911 dem O. gehört.
Zwelfelhaft ist folgender Fall: für A. ist eine ungültige Hypothek eingetragen; am
1. Mai tritt B. Namens des A., aber ohne gültige Vollmacht für ihn zu haben, die Hypothek
dem C. ab und beantragt die Umschreibung der Hypothek auf C.s Namen im Grundbuch;
am 2. Mai wird die Umschreibung im Grundbuch vorgenommen; am 3. Mai erfährt C. die
Ungültigkeit der Hypothek; am 1. Juni erklärt A., daß er die Abtretung der Hypothek ge-
nehmige. Hier nimmt das Reichsgericht wohl mit Recht an, daß C. die Hypothek am 2. Mai
gültig erworben habe, weil wegen der rückwirkenden Kraft der Genehmigung A.s der für die
Sachkenninis des C. entscheidende Zeitpunkt der 1. Mai, nicht der 1. Juni gewesen sei.
Ist eine eintragungsbedürftige Verfügung im Grundbuch eingetragen, ehe der zu ihrer
Wirksamkeit erforderliche dingliche Vertrag zustande gekommen ist, so kommt die Kenntnis
des Sachverhalts auch dann in Betracht, wenn die Gegenpartei sie erst nach dem Antrage
auf Eintragung, aber noch vor dem Zustandekommen der Einigung erlangt hat (892 11).
Beispiel: der Scheineigentümer A. hat am 1. März 1909 zugunsten des B. eine mit 4%
5) RE. 61 S. 203. 6) RG. 69 S. 270.