Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

§ 340. Elterliche Gewalt von Vater und Mutter. 631 
Das Erlöschen der Gewalt tritt gerade wie ihr Beginn kraft Gesetzes ein: es bedarf 
also keiner formellen Entlassung des Kindes aus der Gewalt. 
b) Erst in zweiter Reihe steht die elterliche Gewalt auch der Mutter zu. 
a) Die mütterliche Gewalt beginnt in sehr verschiedener Art. 
aa) Solange der Vater lebt und die elterliche Ehe besteht, ist die Mutter 
von der Ausübung der elterlichen Gewalt in den beiden extremen Fällen 
gänzlich ausgeschlossen, daß der Vater im Vollbesitz der elterlichen Gewalt ist 
und daß er die elterliche Gewalt verloren hat (s. 1684, 1685). Dagegen ist 
die Mutter zur Ausübung der elterlichen Gewalt in den beiden Mittelfällen 
berufen, daß die Gewalt des Vaters für längere oder kürzere Zeit „ruht"“ 
oder daß der Vater an der Ausübung seiner Gewalt für längere oder kürzere 
Zeit tatsächlich behindert ist, ohne daß sich das Vormundschaftsgericht ver- 
anlaßt sieht, die väterliche Gewalt für „ruhend“ zu erklären (1685 1). Doch 
hat die mütterliche Gewalt in diesen beiden Fällen nur vorübergehende Geltung: 
sie tritt außer Kraft, sobald die ruhende Gewalt des Vaters wiederauflebt 
oder die tatsächliche Behinderung des Vaters in Ausübung seiner Gewalt ge- 
hoben ist; die mütterliche Gewalt ist also in beiden Fällen eine bloße Regent- 
schaft (k. 1685 1). Daraus folgt aber nicht, daß die Mutter ihre Gewalt nur als 
Vertreterin des Vaters auszuüben hätte und an seine Anweisungen gebunden 
wäre; vielmehr kann sie, mag ihre Zwischenregierung noch so kurz sein, ihre 
Gewalt kraft eignen Rechts und nach eignem Ermessen anwenden. 
66) Ganz anders ist das Gebiet der mütterlichen Gewalt bemessen, wenn 
der Vater zwar noch am Leben, die elterliche Ehe aber geschieden ist. Einer- 
seits ist zuungunsten der Mutter bestimmt, daß sie zur Ausübung der 
elterlichen Gewalt nicht schon deshalb berufen wird, weil der Vater an der 
Ausübung seiner Gewalt bloß tatsächlich behindert ist; und selbst daß die Ge- 
walt des Vaters „ruht“, wirkt zugunsten der Mutter nur unter der zwiefachen 
Voraussetzung, daß keine Aussicht auf ein Wiederaufleben der Gewalt des 
Vaters besteht und daß das Vormundschaftsgericht der Mutter auf ihren Antrag 
die Ausübung der Gewalt ausdrücklich übertragen hat (1685 I, II). Andrer- 
seits ist zugunsten der Mutter bestimmt, daß sie zur Ausübung der elter- 
lichen Gewalt auch dann berufen ist, wenn der Vater seine Gewalt infolge 
krimineller Bestrafung verwirkt hat (1684 Nr. 2) und daß, wenn sie aus irgend 
einem Grunde zur Ausübung der elterlichen Gewalt berufen wird, ihre Ge- 
walt nicht regentschaftlichen, sondern dauernden Charakter hat. 
*)) Am weitesten ist das Gebiet der mütterlichen Gewalt, wenn der Vater 
gestorben ist: es stimmt hier, solange die Mutter nicht zu einer neuen Ehe 
schreitet, mit dem Geltungsgebiet der väterlichen Gewalt vollkommen überein 
(1684 Nr. 1). Ob die elterliche Ehe durch den Tod des Vaters aufsgelöst ist 
oder vorher geschieden war, ist gleichgültig. 
Beispiel. Aus der Ehe des A. und der B. sind zwei zurzeit minderjährige Kinder 
C. und D. hervorgegangen; A. ist 1905 wegen Mißhandlung des C. zu neun, wegen Miß-
	        
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