Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Zweiter Band. Das Sachenrecht. - Das Recht der Wertpapiere. - Das Gemeinschaftsrecht. - Das Recht der juristischen Personen. - Das Familienrecht. - Das Erbrecht. (2)

8 341. Sorge der Eltern für die Person der Kinder. 637 
oder Pfleger zur Seite gestellt. Und zwar hat der Vormund oder Pfleger 
regelmäßig den Vorrang vor dem Vater oder der Mutter: im Fall einer 
Meinungsverschiedenheit geht also seine Meinung der elterlichen vor (1676 II, 
1685, 1686). Doch gilt eine Ausnahme zugunsten der Mutter, falls ihre 
Geschäftsfähigkeit bloß wegen Minderjährigkeit beschränkt ist: der ihr zur Seite 
gestellte Vormund oder Pfleger ist ihr nämlich in diesem Fall nicht über- 
geordnet, sondern hat sie lediglich hülfreich zu unterstützen sowie in Fällen, in 
denen das Einschreiten des Vormundschaftsgerichts gerechtfertigt ist, dem Ge- 
richt Anzeige zu machen; bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und 
der Mutter geht also die mütterliche Meinung der seinigen vor (1696, 1689). 
I) Schreitet eine verwitwete oder geschiedene Mutter zur zweiten Ehe, so 
gelten die gleichen Regeln wie bei Minderjährigkeit der Mutter: es wird ihr 
also ein Vormund oder Pfleger zur Seite gestellt, der sie bei der Sorge für 
die Person ihrer Kinder zu unterstützen hat (1697). 
4) Ist einer der Eltern laut Feststellung des Vormundschaftsgerichts an 
der Ausübung der Sorge für die Person der Kinder tatsächlich behindert, so 
gelten die gleichen Regeln, wie wenn er geschäftsunfähig ist (1677, 1686). 
4. a) Mißbrauchen die Eltern das Recht der Sorge für die Person eines 
Kindes oder vernachlässigen sie das Kind oder machen sie sich eines ehrlosen 
oder unsittlichen Verhaltens schuldig, so kann, falls das geistige oder leibliche 
Wohl des Kindes dadurch gefährdet wird, das Vormundschaftsgericht die zur 
Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln treffen und namentlich eine 
Fürsorgeerziehung für das Kind anordnen, d. h. bestimmen, daß das 
Kind zum Zweck der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Er- 
ziehungs= oder Besserungsanstalt untergebracht werde; in besonders schweren 
Fällen kann es den Eltern die Sorge für die Person des Kindes sogar ganz 
entziehn (1666 I, 1686). 
Beispiel. Ein Vater läßt seinem Sohne Unterricht in der Volksschule geben, obschon 
nach der Begabung des Kindes und den Verhältnissen des Vaters der Gymnasialunterricht 
für das Kind weit besser passen würde. Hier darf das Vormundschaftsgericht nicht ein- 
schreiten; denn die zuständige Instanz für die Bestimmung des dem Kinde zu erteilenden 
Unterrichts ist der Vater und nicht das Gericht. Nur wenn das Verhalten des Vaters auf 
blindem Eigensinn oder gar auf Schikane beruht, kann es als ein „Mißbrauch“ seines Eltern- 
rechts bezeichnet werden, und es ist also, wenn dieser Mißbrauch das geistige Wohl des 
Kindes gefährdet, ein Einschreiten des Gerichts wohl gerechtfertigt. 
Ist nur einer der Eltern schuldig, so darf das Vormundschaftsgericht seine Schutzmaß- 
regeln auch bloß gegen ihn allein richten. Nur die Fürsorgeerziehung kann, obschon sie 
beide Eltern zusammen trifft, schon dann angeordnet werden, wenn derjenige der Eltern 
schuldig ist, dem die Haupisorge für das Kind zufällt (s. 1666 I, 1686). 
Wird einer der Eltern wegen einer an dem Kinde vorsätzlich begangenen Straftat zu 
Zuchthaus oder zu mindestens sechs Monaten Gefängnis verurteilt, so wird ihm die Sorge 
für die Person des Kindes kraft Gesetzes entzogen (s. 1680, 1686). 
b) Unter Umständen kann das Vormundschaftsgericht für ein Kind die 
Fürsorgeerziehung auch dann anordnen, wenn den Eltern nicht, wie zu a
	        
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