§ 366. Vertretungsmacht des Vormundes. Vormundschaftsgericht. 705
sönlichen Verhältnisse des Mündels Auskunft verlangen (1839); gewisse Maß-
regeln muß der Vormund vornehmen, wenn das Gericht sie anordnet, andre
muß er unterlassen, wenn das Gericht sie nicht genehmigt (1802 III, 1821 usw.);
im Fall eines Interessengegensatzes kann das Gericht die Vertretungsmacht des
Vormundes beschränken (1796); bei Pflichtwidrigkeiten des Vormundes hat das
Gericht durch geeignete Gebote oder Verbote einzuschreiten (1837 I); wenn es
das Interesse des Mündels fordert, hat das Gericht den Vormund abzusetzen
(1886). Dieselben Befugnisse hat das Gericht auch gegenüber dem Gegen-
vormunde (s. 1837, 1839, 1895). Trotz alledem verbleibt dem Vormunde und
Gegenvormunde ein gewisses Maß von Selbständigkeit. Insbesondre hat das
Gericht sich in bloße Zweckmäßigkeitserwägungen nur dann zu mischen, wenn
es sich um eine Maßregel handelt, die nur mit Genehmigung des Gerichts
vorgenommen werden darf oder auf Anordnung des Gerichts vorgenommen
werden muß; im übrigen wird die Zweckmäßigkeitsfrage endgültig von Vormund
und Gegenvormund entschieden.
Beispiele. I. Das Gericht findel es unzweckmäßsg, daß der Mündel Grundstücke besitzt,
und wünscht deshalb, daß ein vom Mündel ererbtes Grundstück verkauft werde; der Vormund
ist entgegengesetzter Meinung und will deshalb für den Mündel noch ein weiteres Grund-
stück dazu kaufen. Hier kann das Gericht den Vormund zum Verkauf des ererbten Grund-
stücks nicht nötigen; dagegen kann es ihn an dem Zukauf eines zweiten Grundstücks hindern,
indem es seine nach 1821 Nr. 4 erforderliche Genehmigung verweigert. II. Vormund und
Gegenvormund wollen die 1895 für den Mündel zum Kurse von 99 angeschafften preußi-
schen 3%. Konsols 1907 zum Kurse von 83 verkaufen, weil sie einen weiteren Kursrückgang
der Papiere befürchten; das Gericht möchte aber nicht, daß der Mündel an preußischen
Staatspapieren den sechsten Teil seines Vermögens verliert. Hier ist das Gericht, da zum
Verkauf der Papiere seine Genehmigung nicht erforderlich ist, machtlos.
Ist ein Vormund nicht bestellt oder ist der Vormund an der Erfüllung seiner Pflichten
verhindert, so kann das Vormundschaftsgericht die Sorge für den Mündel vorübergehend
einem Pfleger übertragen. Der Richter kann sich aber auch selber an die Stelle des Vor-
mundes setzen und alle im Interesse des Mündels erforderlichen Maßregeln, zu denen der
Vormund zuständig ist, persönlich vornehmen (s. 1909, 1846), z. B. beim Prozeßgericht einen
Arrest in das Vermögen des flüchtig gewordenen bisherigen Vormundes beantragen.
2. a) Als Vormundschaftsgerichte dienen in Preußen, Bayern und den
meisten andern Staaten die Amtsgerichte (R. FG. 35). Dagegen ist in
Württemberg für jede Gemeinde eine besondre Vormundschaftsbehörde ein-
gerichtet, die aus dem zuständigen Bezirksnotar als Vorsitzenden und vier von
der Gemeinde gewählten Waisenrichtern besteht (EG. 147; württ. AussGes. 41).
Nicht richterliche Vormundschaftsbehörden sind außer in Württemberg auch in Hamburg
(Ges. v. 14. Juli 1899) und in Mecklenburg (V. z. R. FG. 22ff.) eingesetzt. Von den etwas
romantischen mecklenburgischen Bestimmungen sei erwähnt, daß in den Städten die Magistrate,
in dem Gebiet der drei Landesklöster die von den Ständen bestellten Klosteramtsgerichte, in
den ritterschaftlichen Gebieren die Rittergutsbesitzer, für den Hofstaat die Hofstaatsgerichte
als Vormundschaftsbehörden zuständig sind, dies alles aber mit zahlreichen persönlichen und
sachlichen Ausnahmen und mit dem Vorbehalt eines freiwilligen Verzichts der Klöster und
der Rittergutsbesitzer auf ihre Gerichtsherrlichkeit.
1) v. Blume, Jahrb. f. Dogm. 49 S. 281.
2) Vgl. aber RG. 71 S. 168.
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