714 Buch VII. Abschnitt 7. Das Vormundschaftsrecht.
II. Die Vormundschaft über Volljährige.
§ 370.
I. Die Vormundschaft über einen Volljährigen ist eine all-
gemeine Fürsorge, die ihm im obrigkeitlichen Auftrage zuteil. wird, sobald
er entmündigt ist (1896).
1. Auf die Vormundschaft über einen Volljährigen finden die für die Vor-
mundschaft über einen Minderjährigen geltenden Regeln Anwendung (1897).
Beispiel. Das Vermögen eines entmündigten Geisteskranken ist ausschließlich zu dessen
Nutzen zu verwalten und, was von den Zinsen nicht für seinen Bedarf verwendet wird, zu
sparen: die Verwendung der überschüssigen Zinsen zum Besten der Eltern und Geschwister
des Geisteskranken ist ausgeschlossen.
2. Abweichungen:
a) Ein Vorrecht auf die Berufung zur Vormundschaft haben der Reihe
nach: I. der Vater, II. die eheliche Mutter, III. der Großvater väterlicherseits,
IV. der Großvater mütterlicherseits; ist der Entmündigte verheiratet, so darf
sein Ehegatte, ist er außer der Ehe geboren, so darf seine Mutter vor den
Bevorrechtigten berufen werden; weder der Vater noch die Mutter sind befugt,
letztwillig einen Vormund zu benennen oder jemanden von der Vormundschaft
auszuschließen (s. 1899, 1776 I, 1900 II, III, 1898). Eine Ehefrau darf
zum Vormunde ihres Mannes auch ohne dessen Zustimmung bestellt werden
(1900 D.
b) Wird der Vater oder die Mutter zum Vormunde bestellt, so unter-
bleibt die Bestellung eines Gegenvormundes, es sei denn, daß der Vater oder
die Mutter im Fall der Minderjährigkeit des Mündels zur Vermögensver-
waltung nicht berechtigt sein würde oder daß das Gericht aus besondern
Gründen die Bestellung eines Gegenvormundes neben der Mutter für uner-
läßlich erachtet (s. 1903, 1647 I, 1697, 1904).
c) Ein Familienrat wird nur auf Antrag eines Angehörigen nach freiem
Ermessen des Vormundschaftsgerichts eingesetzt; die Eltern sind also nicht be-
fugt, die Einsetzung letztwillig bindend anzuordnen (1905).
d) Die Sorge für die Person des Mündels geht nur soweit, als der
Zweck der Vormundschaft es fordert; sie gestaltet sich also sehr verschieden, je
nachdem der Mündel etwa wegen Geisteskrankheit oder wegen Verschwendung
entmündigt ist; dadurch, daß der Mündel heiratet, wird sie selbstverständlich
nicht ausgeschlossen (1901).
e) Der Vormund kann eine Ausstattung aus dem Vermögen des Mündels nur mit
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts versprechen oder gewähren; zu einem Miet= oder
Pachtvertrage bedarf er der Genehmigung des Gerichts, wenn das Vertragsverhältnis länger
als vier Jahre dauern soll oder wenn die Pachtung eines Landguts oder eines gewerblichen
Betriebes in Frage ist (s. 1902).