§ 373. Bisheriges Recht. 721
Vormundes war schon dem bisherigen Recht bekannt. Insbesondre hatte im
Gebiet der preußischen Vormundschaftsordnung von 1875 einen solchen An-
spruch die eheliche Mutter des Mündels: schien sie der elterlichen Gewalt über
ihr Kind auch nicht wert, so war sie doch vor andern zur vormundschaftlichen
Gewalt über das Kind zu berufen.ö
4. Frauen galten nach den meisten bisherigen Rechten als unfähig zur
Übernahme einer Vormundschaft außer über ihre eignen Nachkommen.“
5. Gegenvormünder fanden sich im bisherigen Recht unter verschiedenen
Namen und mit verschiedenen Machtvollkommenheiten. Nach rheinischem Recht
mußte ein Gegenvormund bei jeder Vormundschaft bestellt werden, auch wenn
der Mündel vermögenslos war. 7
II. Die Übertragung der Obervormundschaft auf die Obrigkeit ist bereits
im spätern Mittelalter durchgeführt, während nach ältestem Recht die Ober-
vormundschaft der Sippe des Mündels zufiel. Anknüpfend an letzteren Satz
hat sich in manchen Teilen Deutschlands das Institut des Familienrats, das
ja eine Verbindung von Obrigkeit und Sippe darstellt, ausgebildet. In jüngerer
Zeit fand sich der Familienrat fast nur im rheinischen Recht; erst die preußische
Vormundschaftsordnung von 1875 hat ihm wieder ein größeres Geltungsgebiet
erschlossen.?
III. 1. Nach bisherigem gemeinem Recht und nach dem preußischen Land-
recht war die Gewalt der Obervormundschaftsbehörde eine weit größere als
nach jetzigem Recht: der Vormund war von dieser Behörde auf Schritt und
Tritt abhängig; insbesondre bedurfte er nach bisherigem gemeinem Recht mit
nur geringfügigen Ausnahmen bei jeder Veräußerung, auch wenn sie eine
Fahrnissache betraf, eines obrigkeitlichen decretum de alienando. Erst das
französische Recht und dann die preußische Vormundschaftsordnung von 1875
hat ihm eine größere Selbständigkeit verliehn; letzteres Gesetz ließ es sogar zu,
daß der Vater den Vormund durch letzwillige Verfügung ermächtigte, Grund-
stücke des Mündels ohne Genehmigung des Gerichts zu veräußern, Darlehne
aufzunehmen, Wechsel zu zeichnen usw.v?
2. Nach ältestem Recht stand in manchen Rechtsgebieten dem Vormunde
nicht bloß die Verwaltung, sondern auch die Nutzung des Mündelguts zu,
gerade wie dem Vater am Kindergut. Doch ist diese Rechtsanschauung wohl
schon vor der Rezeption des römischen Rechts verschwunden.°%
3. Nach bisherigem gemeinen Recht haftete der Vormund dem Mündel
nur für die Sorgfalt, die er in eignen Angelegenheiten anzuwenden pflegte. 11
5) Pr. VormOrdn. 17 I Nr. 3, II. 6) Pr. VormOrdn. 21 I Nr. 7, II.
7) Motive 4 S. 1028.
8) Hübner S. 659, 661; Motive 4 S. 1018; Pr. VormOrdn. 71.
9) Motive 4 S. 1022; Dernburg 3 § 50; Pr. Vormrdn. 47.
10) St.-Lehmann 4 § 329, 2; Hübner S. 669.
11) Dernburg 3 § 49 1c.
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