722 Buch VII. Abschnitt 7. Das Vormundschaftsrecht.
IV. Die Vormundschaft über Volljährige und die Pflegschaft (cura) war
im bisherigen Recht ähnlich geregelt wie nach Reichsrecht.
V. Eine Beistandschaft war dem bisherigen Recht nicht bekannt. Nur das
rheinische Recht gestattete es, daß der Mutter ein conseil spécial zugeordnet
wurde; es beschränkte aber diese Zuordnung auf den Fall, daß sie vom Vater
letztwillig angeordnet war.12
Zusatz zu Abschnitt VII.
I. Kollisionsnormen.
1. Auf jede Vormundschaft oder Pflegschaft (ausgenommen den Fall von 1914) kommt
grundsätzlich das Recht des Staats zur Anwendung, dem der Mündel oder Pflegling an-
gehört, selbst wenn er Wohnsitz und Aufenthalt im Auslande hat und auch sein Vermögen
sich im Auslande befindet (s. EG. 23). Doch wird dieser schwerfällige Grundsatz keineswegs
streng durchgeführt.
a) Sobald im Inlande das Bedürfnis der Fürsorge für einen Ausländer hervortritt,
können die deutschen Behörden sich seiner wenigstens vorläufig, etwa durch Anordnung einer
Pflegschaft, annehmen (EG. 23 II; R. FG. 36 I, III, 37 II, 38, 39); Beispiel: ein Amerikaner
verfällt während einer Vergnügungsreise nach Deutschland plötzlich in Geisteskrankheit und
macht unsinnige An= und Verkäufe. Ja, wenn feststeht, daß der Heimatsstaat des Aus-
länders die Sorge für ihn nicht übernimmt, können die deutschen Behörden sogar end-
gültige Anordnungen zu seinem Schutz treffen, z. B. eine dauernde Vormundschaft über ihn
einleiten (EG. 23 I). Für alle Anordnungen der deutschen Behörden ist deutsches Recht maß-
gebend; nur insofern gilt eine Ausnahme, als dauernde Anordnungen bloß dann zulässig sind,
wenn der Ausländer nach den Gesetzen des Staats, dem er angehört, „der Fürsorge be-
darf“; doch fällt letztere Ausnahme fort, wenn der Ausländer nach deutschem Recht ent-
mündigt ist: gegenüber einem derart entmündigten Ausländer kann eine Vormundschaft
selbst dann eingeleitet werden, wenn er in seinem Heimatsstaat nicht „der Fürsorge be-
dürftig“ wäre (s. EG. 23, 8).
b) Analoge Regeln gelten, wenn das Bedürfnis der Fürsorge für einen Deutschen im
Auslande hervortritt. Die deutschen Vormundschaftsbehörden lassen es sich demgemäß gern
gefallen, wenn sich die Auslandsbehörde eines solchen Deutschen vorläufig annimmt (s. Eu.
23 1I). Liegt es im Interesse des Deutschen, so können die deutschen Behörden sich auch
mit endgültigen Maßregeln, die die Auslandsbehörde zu seinem Schutz trifft, einverstanden
erklären und von der Anordnung einer konkurrierenden deutschen Vormundschaft oder Pfleg-
schaft gänzlich absehn. Ja es ist sogar zulässig, daß eine bereits von der deutschen Behörde
über einen deutschen Mündel eingeleitete Vormundschaft oder Pflegschaft nachträglich auf-
gehoben und mit Zustimmung der Auslandsbehörde an sie abgegeben wird (R. FG. 47)
in Fällen dieser Art treten die deutschen Mündel völlig unter die Herrschaft des ausländischen
Vormundschaftsrechts.
T) Zwischen einzelnen Staaten ist die Bevormundung der beiderseitigen Angehörigen
durch Staatsverträge geregelt. In Betracht kommt hier namentlich der dritte der haager
Verträge von 1902 (s. oben Bd. 1 S. 44b), der deutsch-japanische Konsularvertrag von
1896 usw.).
2. Für Beistandschaften gilt das Recht, das für die von der Beistandschaft betroffene
mütterliche Gewalt maßgebend ist (s. EG. 19).
II. übergangsvorschriften. Das neue Vormundschaftsrecht ist mit dem 1. Januar
1900 sofort in Kraft getreten, auch mit Bezug auf Vormundschaften, Pflegschaften oder Bei-
standschaften, die schon vorher angeordnet waren (EG. 210 1, 203). Daraus ergibt sich
z. B., daß die Befreiungen, die gemäß dem bisherigen preußischen Recht der Vater des
Mündels dem Vormunde zugedacht hatte, am 1. Januar 1900 kraft Gesetzes in Fortfall ge-
kommen sind, es sei denn, daß ihre Anordnung auch nach neuem Reichsrecht zulässig ist.
12) C. c. 391.