§ 411. Nachlaßschulden. Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses. 809
laßgläubiger gerichtlich sequestriert wird, erleidet eine Ausnahme in den zahl-
reichen Fällen, in denen der Nachlaß so dürftig ist, daß sich seine Sequestration
der Kosten halber nicht verlohnt: dem Erben wird hier die Haftbeschränkung
ohne weiteres zugestanden (1990 1), und es bleibt den Nachlaßgläubigern über-
lassen, für ihre Sicherung durch Zwangsvollstreckungen oder Arreste in den
Nachlaß zu sorgen.
II. Die Haftbeschränkung des Erben wegen „Dürftigkeit“ des Nachlasses
beginnt meistens schon mit dem Erbfall. Nur wenn der Nachlaß erst nach-
träglich dürftig wird, tritt auch die Haftbeschränkung erst nachträglich ein.
Beispiel. Al. stellt fest, daß die Nachlaßaktiva seines Vaters 12200 Mk., die Nachlaß-
schulden 12000 Mk. betragen; da kein Grund zu der Annahme besteht, daß unbekannte Nach-
laßschulden vorhanden seien, berichtigt er diese 12000 Mk.; bald darauf wird eine weitere
Nachlaßschuld von 3000 Mk. angemeldet. Hier hat A. für die Nachlaßschulden anfangs vor-
läufig unbeschränkt gehaftet; seit der Auszahlung der 12000 Mk. haftet er aber wegen der
jetzt eingetretenen Dürftigkeit des Nachlaßrests nur noch beschränkt.
III. 1. Ist der Nachlaß dürftig, so müssen die Nachlaßgläubiger es sich
gefallen lassen, daß der Erbe ihre Befriedigung aus seinem Privatvermögen
mittels Einrede verweigert (1990 1 Satz 1). Die Einrede kann vom Erben nach
dessen Belieben gegen alle oder nur gegen einzelne Nachlaßgläubiger, sie kann
außergerichtlich oder im Prozeß erhoben werden. Daß die Gläubiger ihre
Forderungen bereits geltend gemacht haben, ist nicht nötig: der Erbe kann
ihnen mit seiner Einrede zuvorkommen.
Die Einrede wird öfters als „Erschöpfungseinrede"“, „Einrede der Nachlaßüberschuldung“,
„der Nachlaßunzulänglichkeit“ bezeichnet. Diese Bezeichnungen sind aber irreführend. Denn
die Einrede setzt keineswegs voraus, daß der Nachlaß erschöpft, überschuldet, unzulänglich ist?;
Beispiel: der Nachlaß besteht aus einer sicheren fälligen Forderung von 90 Mk. und ist mit
einer einzigen Schuld von 20 Mk. belastet; hier braucht der Erbe die 20 Mk. nicht aus
eignen Mitteln zu bezahlen, sondern kann es dem Gläubiger überlassen, seine Befriedigung
aus der Forderung von 90 Mk. zu suchen. Die Richtigkeit dieser Behauptung zwingend zu
beweisen ist freilich unmöglich. Denn die maßgebende Gesetzesstelle (1990 1) ist von den
Redaktoren so kunstvoll abgefaßt, daß sie nicht bloß zwei-, sondern drei= oder vierdeutig ist.
— Andre nennen die Einrede „Abzugseinrede“. 1 Diese Benennung ist nicht irreführend,
aber schlechterdings unverständlich.
2. à) Die Erhebung der Einrede bewirkt nicht, daß der von ihr betroffene
Nachlaßgläubiger, wie im Sequestrationsfall, sein Klagrecht gegen den Erben
ganz verliert. Der Erbe kann also kraft der Einrede nicht die Abweisung der
Klage verlangen, sondern muß sich mit dem Vorbehalt der Haftbeschränkung
im Urteil begnügen (1990 1; 8 PO. 780).
Planck-Strohal“ meint, die Klage des Nachlaßgläubigers sei wenigstens dann abzu-
weisen, wenn der Erbe „liquid stelle“, daß der Nachlaß bereits erschöpft sei. Mit demselben
Recht könnte aber auch jeder andre Schuldner Klagabweisung verlangen, wenn er „liquid
1) Endemann 3 § 101; Staudinger-Herzfelder Anm. II zu § 1990.
2) Binder S. 20810. Abw. Hachenburg S. 683; Staudinger-Herzfelder Anm. II, 3
zu § 1990.
3) Planck-Ritgen, Vorbem. 6 vor § 1975; Binder S. 187 122.
4) Planck-Strohal Anm. 2 b zu § 1991.