§ 411. Nachlaßschulden. Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses. 811
der Sequestration des Nachlasses. Insbesondre gilt als Nachlaß nicht bloß,
was von den ursprünglichen Nachlaßgegenständen zurzeit noch vorhanden ist.
Vielmehr wird der Erbe von der Erbschaftsannahme ab für die ordnungs-
mäßige Nachlaßverwaltung wie ein Beauftragter verantwortlich gemacht und muß
deshalb für jede Verringerung, die der Nachlaß in dieser Zeit durch seine
Schuld erleidet, Ersatz leisten. Dafür sind ihm aber auch die Aufwendungen,
die er in dieser Zeit für den Nachlaß gemacht hat, wie einem Beauftragten
aus dem Nachlaß zu erstatten (1991 I, II), und er hat wegen des Erstattungs-
anspruchs ein Zurückbehaltungsrecht am Nachlaß.
2. Doch gilt die Analogie der Sequestration nicht ausnahmslos.
a) Die Verantwortlichkeit des Erben für die Nachlaßverwaltung dauert
nicht bloß bis zur Erhebung der Einrede, sondern bis zur Herausgabe des
Nachlasses; dementsprechend behält der Erbe auch bis zur Herausgabe die
Rechtsmacht, über den Nachlaß Dritten gegenüber zu verfügen.
b) Der Erbe braucht sich, anders als der gerichtliche Nachlaßverwalter,
darum nicht zu kümmern, ob der Nachlaß zur Befriedigung sämtlicher Gläu-
biger ausreicht , sondern kann nach Gutdünken auch bei zweifelloser Über-
schuldung des Nachlasses einzelne Gläubiger voll befriedigen und die andern
Gläubiger mit dem Nachlaßrest abfinden. Anders erst dann, wenn er die
Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses gegen einen bestimmten Gläubiger
wirklich erhebt: denn von nun ab ist er verpflichtet, den Nachlaß zwecks Be-
friedigung dieses Gläubigers herauszugeben; er ist also fortab nicht mehr
befugt, freihändige Zahlungen für Rechnung des Nachlasses an andre Gläu-
biger zu leisten.
Außer den Beträgen, die der Erbe an einzelne Nachlaßgläubiger bereits gezahlt hat,
kann er auch solche Beträge vom Nachlaß abziehn, zu deren Zahlung er rechtskräftig ver-
urteilt ist (1991 III). Unter mehreren Urteilen geht das früher rechtskräftig gewordene vor.
VI. Die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses fällt fort, wenn der Nach-
laß sich nachträglich derart verbessert, daß er unter Sequestration gestellt werden
kann. Die Folge ist, daß der Erbe nunmehr vorläufig unbeschränkt haftet.
VII. Die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses hat, anders als die
Nachlaßsequestration, nur für die Nachlaßgläubiger, nicht auch für die Privat-
gläubiger des Erben Bedeutung. Demnach bleibt der Erbe den Privatgläubigern
unbeschränkt, also auch mit dem Nachlaß haftbar. Die Privatgläubiger können
somit Nachlaßsachen pfänden und ihre Forderungen gegen Nachlaßforderungen
aufrechnen, wie sie wollen, ohne Rücksicht darauf, daß sie die kümmerliche Lage
der Nachlaßgläubiger dadurch noch mehr verschlechtern.
Beispiel. A. ist dem C., B. ist dem D. und übers Kreuz ist C. dem B., D. dem A.
je 100 Mk schuldig; A. stirbt und wird von B. beerbt; A.s Nachlaß und B.s Privatver-
mögen sind gleich dürftig und gleich überschuldet. Hier kann D. sich voll befriedigen, indem
er seine Privatforderung gegen B. und die Forderung des A. aufrechnet, während C., sobald
5) Binder 2 S. 208; Strohal 2 S. 307.