840 Buch VIII. Abschnitt 4. Die Rechtsstellung des Vorerben.
VI. 1. Der Erblasser kann den Vorerben von den meisten der Ver-
pflichtungen und Beschränkungen, die das Gesetz diesem im Interesse des Nach-
erben zudenkt, befreien. Dagegen sind gewisse andre Verpflichtungen oder Be-
schränkungen des Vorerben zwingenden Rechts; namentlich kann der Erblasser
dem Vorerben die Haftung für solche Minderungen der Erbschaft nicht erlassen,
die dieser in der Absicht herbeiführt, den Nacherben zu schädigen; ebensowenig
kann er den Vorerben ermächtigen, von Anstandsschenkungen abgesehn, über
Erbschaftsgegenstände unentgeltlich zu verfügen (2136).5
Beispiel. Zum Nachlaß des verstorbenen A. gehört eine Hypothek auf dem Grundstück
des B.; als Vorerbe A.s ist C., als Nacherbe D. in der Art berufen, daß C. zur Verfügung
über alle Nachlaßgegenstände auch ohne die Genehmigung des D. ermächtigt sein soll; nun be-
antragt B. auf Grund einer einseitigen Bewilligung des C. die Löschung der Hypothek im
Grundbuch. Hier ist die Löschungsbewilligung auch gegenüber dem Nacherben D. wirksam,
wenn C. sie gegen Zahlung des Hypothekenkapitals erteilt hat; sie ist gegenüber D. un-
wirksam, wenn dem C. ein Entgelt für die Aufgabe der Hypothek von B. nicht gewährt ist.
Fraglich ist aber, wie das Grundbuchamt sich gegenüber dem Antrage B.s zu verhalten hat,
da es nicht wissen kann, ob der eine oder der andre jener beiden Fälle vorliegt. Wie es
scheint, wird man die Frage dahin entscheiden müssen, daß das Grundbuchamt dem Antrage
ohne weiteres stattgeben darf, wenn nicht besondre Umstände die Annahme rechtfertigen,
daß eine unentgeltliche Verfügung des C. vorliege; denn die Unentgeltlichkeit einer
Löschungsbewilligung ist als eine Ausnahme anzusehn; und ob ein Ausnahmefall vorliegt,
braucht das Grundbuchamt nur zu prüfen, wenn ein besondrer Anlaß dafür vorliegt.
Dafür spricht außerdem, daß eine analoge Frage auch für Löschungsbewilligungen eines
Vaters oder Vormundes in Ansehung von Hypotheken seines minderjährigen Kindes oder
Mündels (1641, 1804) und für Löschungsbewilligungen eines Testamentsvollstreckers in An-
sehung von Nachlaßhypotheken (2205) besteht und für diese Fälle an der Richtigkeit unsrer
Entscheidung kaum gezweifelt werden kann. Trotzdem hat das Reichsgericht unfre Entschei-
dung zwar für den Testamentsvollstrecker gebilligt, dagegen für den Vorerben verworfen:
nach der Theorie des Reichsgerichts darf die Löschungsbewilligung auch eines „befreiten“
Vorerben vom Grundbuchamt nur dann berücksichtigt werden, wenn der Nacherbe sie ge-
nehmigt hat oder ihre Entgeltlichkeit anderweit positiv festgestellt ist.7
2. Alle Befreiungen, die ein Erblasser seinem Vorerben gültig erteilen
kann, gelten als stillschweigend gewährt, wenn der Erblasser den Nacherben
nur auf dasjenige eingesetzt hat, was von der Erbschaft bei Eintritt der Nach-
erbfolge übrig sein werde (Einsetzung auf den ÜUberrest); das nämliche
gilt im Zweifel, wenn der Erblasser bestimmt hat, daß der Vorerbe zur freien
Verfügung über die Erbschaft berechtigt sein solle (2137, 2138).
2. Bie Gläubiger des Uor- und des Nacherben.
§ 421.
I. 1. Bis zum Eintritt der Nacherbfolge haftet für die Nachlaßschulden
einzig und allein der Vorerbe.
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5) Siehe RG. 70 S. 332.
6) R. 61 S. 229.
7) N. 61 S. 228, 65 S. 215, 69 S. 260.