8 429. Bisheriges Recht. 863
6. Ein Aufgebot der Nachlaßgläubiger war den meisten Rechten unbe-
kannt; in Preußen war es nur binnen eines Jahrs zulässig, nachdem der
Erbe den Anfall der Erbschaft erfahren hatte.7
II. 1. Die Rechtsverhältnisse der Miterben waren im bisherigen preußischen
Recht ähnlich geregelt wie im neuen Reichsrecht.
Von Abweichungen des preußischen Rechts sei nur erwähnt,
a) daß bei der vom Nachlaßgericht vermittelten Auseinandersetzung zwischen Miterben
ein Versäumnisverfahren gegen ausbleibende Erben nicht stattfand;
b) daß die Ausgleichungspflicht der als Miterben berufenen Nachkommen sich auch auf
gewöhnliche Schenkungen des Erblassers erstreckte, wenn sie Grundstücke oder ausstehende
Kapitalien zum Gegenstande hattens;
JP) daß ein ausgestatteter Nachkomme zum Ausgleich selbst über den Wert seines Nach-
laßanteils verpflichtet war, wenn neben ihm ein nicht ausgestatieter Nachkomme erbte und
der Nachlaß nicht ausreichte, diesem eine wenigstens notdürstige Ausstattung zu gewähren.?
2. Weit größer sind die Unterschiede des bisherigen gemeinen, französischen
und sächsischen Rechts.
a) Diese drei Rechte bestimmten, daß die Miterben den Nachlaß nicht zur
gesamten Hand erwarben, sondern daß alle teilbaren Rechte kraft Gesetzes sofort
mit dem Erbfall zwischen den Miterben geteilt wurden, während die unteil-
baren Rechte jedem Miterben zu einem Bruchteil zufielen; jeder Miterbe konnte
also über seinen Anteil an den einzelnen Nachlaßgegenständen sofort verfügen,
seine Privatgläubiger konnten ihre Forderungen sofort gegen seinen Anteil an
den Nachlaßforderungen aufrechnen usw.; dementsprechend wurden auch die
Nachlaßschulden sofort zwischen den Erben geteilt: die Miterben hafteten also
nach Verhältnis ihrer Erbteile als Teilschuldner., 10
b) Die drei Rechte bestimmten ferner, daß die Ausgleichung unter Mit-
erben nicht nach dem Wert der auszugleichenden Zuwendungen, sondern in
Natur stattfinden sollte. 11
III. Die Rechtsstellung des Vor= und Nacherben war im bisherigen Recht,
soweit dieses eine Nacherbschaft überhaupt zuließ, ähnlich wie jetzt geregelt.
Doch gestattete das preußische Recht dem Vorerben eine Verfügung über Nachlaß-
gegenstände nur in gleichem Umfange wie einem Nießbraucher, also grundsätzlich
nur in Ansehung der Nachlaßnutzungen. 12
IV. Das Institut der Testamentsvollstrecker (Salmänner, Treuhänder)
entstammt dem mittelalterlichen deutschen Recht 1s und ist, obschon es den
7) Motive 5 S. 643; Pr. Ges. v. 28. 3. 79 § 4.
7a) Dernb., Pr. PrR. 3 § 238.
8) Pr. LR. II, 2 88 327, 328.
9) Pr. LR. II, 2 §§ 313 ff.
10) Dernb. 3 § 175; c. c. 870, 873, 876, 1220 ff.; sächs. GB. 2324, 2347, 2348.
11) Windscheid-Kipp 3 § 610 ½; c. c. 858 ff.; sächs. GB. 2363.
12) Pr. LR. I, 12 § 466.
13) A. Schultze, langobardische Treuhand (95); Deutsch, Vorläufer der TV. im römischen
Recht (99); Hübner S. 736.
Cosack, Bürgerl. Recht. 5. Aufl. II. 55