§ 441. Pflichtteilsrecht der Kinder und der entfernteren Nachkommen. 895
einen Zusatzpflichtteil in Höhe des Wertunterschiedes fordern; dabei muß es
aber alle etwaigen Beschwerungen und Beschränkungen des Vermächtnisses
gegen sich gelten lassen und kann nicht einmal verlangen, daß bei der Fest-
stellung seines Zusatzpflichtteils auf die durch die Beschwerung oder Beschrän-
kung verursachte Minderung des Vermächtniswerts zu seinen Gunsten Rücksicht
genommen wird (2307 1 Satz 2).
Beispiel. I. Man nehme an, daß A. in dem zu 1 a genannten Fall seinem Sohn B.
ein zum Nachlaß gehöriges Haus im Wert von 35000 Mk. vermacht hat. Hier kann B.
dies Vermächtnis zurückweisen, z. B. weil ihm die Verwaltung des Hauses zu unbequem ist,
und seinen vollen Pflichtteil mit 10000 Mk. fordern. II. Gleicher Fall: nur hat A. dies Ver-
mächtnis damit beschwert, daß seine Schwester E. samt ihrer Familie in dem Hause lebens-
länglich freie Wohnung haben soll, wodurch der Wert des Vermächtnisses auf 5000 Mk.
sinkt. Hier kann B., wenn er das Vermächtnis annimmt, keinen Zusatzpflichtteil fordern; denn
bei der Bestimmung des Vermächtniswerts bleibt das Wohnungsrecht der E. außer Ansatz.
II. Die Regeln zu 1 gelten entsprechend auch für das Pflichtteilsrecht der
entfernteren Nachkommen des Erblassers, jedoch mit der Maßgabe, daß
diese des Pflichtteilsrechts insoweit darben, „als ein näherer Nachkomme, der
sie im Fall der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, das ihm von dem
Erblasser Hinterlassene annimmt oder für seine Person einen Pflichtteil fordern
kann“ (2309)." Das Pflichtteilsrecht der entfernteren Nachkommen ist also im
Verhältnis zu dem Pflichtteilsrecht der zwischen ihnen und dem Erblasser
stehenden näheren Nachkommen ein subsidiäres.
1. Die Subsidiarität des Pflichtteilsrechts der entfernteren Nachkommen
spielt gar keine Rolle, wenn die zwischen ihnen und dem Erblasser stehenden
näheren Nachkommen vor dem Erblasser gestorben sind: alsdann kommen die
für das Pflichtteilsrecht der Kinder geltenden Regeln auf das Pflichtteilsrecht
der entfernteren Nachkommen unverändert zur Anwendung.
Beispiel. Der Witwer A. hinterläßt von Angehörigen nur die beiden Söhne seines vor-
verstorbenen Sohns B. und die drei Söhne seines gleichfalls vorverstorbenen Sohns C.; den
Söhnen des B. hinterläßt er nichis; die Söhne des C. beruft er als Erben unbelastet und
unbeschwert auf je ½/76, während er für den Rest den N. zum Erben ernennt Hier können
die Söhne des B. je ½/ als vollen Pflichtteil, die Söhne des C. je /12 — 1/15-= ½0 des Nach-
laßwerts als Zusatzpflichtteil fordern.
2. Dasselbe gilt auch dann, wenn der nähere Nachkomme den Erblasser
überlebt hat, sofern folgende zwei Voraussetzungen nebeneinander erfüllt sind.
a) Der Erblasser darf dem näheren Nachkommen weder durch gesetzliche
Erbfolge noch durch Erbeseinsetzung noch durch Vermächtnis etwas hinterlassen
oder der nähere Nachkomme muß das ihm etwa in dieser Art Hinterlassene
ausgeschlagen haben.
b) Der nähere Nachkomme darf gegenüber dem Nachlaß des Erblassers
keinen Pflichtteilsanspruch haben. Dies ist der Fall, wenn er des Pflichtteilsrechts
gegenüber dem Erblasser darbt oder wenn er zwar ein Pflichtteilsrecht gegen-
4) Reier, Pflichtteilsrecht der Enkel (04).
Cosack, Bürgerl. Recht. 5. Aufl. II. 57