§ 445. Pflichtteilslast. § 446. Ergänzungspflichtteil bei Schenkungen des Erblassers. 907
II. Ist ein Erbe außer mit einer Pflichtteilsschuld auch mit einem Vermächtnis
belastet, so kann er das Vermächtnis derart kürzen, daß die Pflichtteilslast von
ihm selber und dem Vermächtnisnehmer verhältnismäßig getragen wird; das
gleiche gilt von einer Auflage (2318 1). Ausnahmen: ist der Vermächtnis-
nehmer pflichtteilsberechtigt, so kann der Erbe das Vermächtnis nur soweit
kürzen, daß jenem der Pflichtteil bleibt (2318 II); ist umgekehrt der Erbe
pflichtteilsberechtigt, so kann er das Vermächtnis soweit kürzen, daß ihm selber
der Pflichtteil bleibt (2318 III).
Beispiel. Der Witwer A. beruft als Erben seinen ältesten Sohn B. auf ½/, seine Stief-
tochter C. auf ½8 und legt dem B. ein Vermächtnis von 1000 Mk. an N. auf; seinem zweiten
Sohn D. hinterläßt er nichts; sein Nachlaß beträgt 36000 Mk. Hier hat B. die Last des
dem D. gebührenden Pflichtteils mit ½, also mit ½8 . /. 36000 = 3000 Mk. zu tragen;
sein eigner Anteil an dem väterlichen Nachlaß sinkt dadurch auf 9000 Mk. Die Folge ist,
daß er die Bezahlung des ihm auferlegten Vermächtnisses ganz verweigern kann; denn
andernfalls würde der Wert seines Erbteils unter den Betrag seines Pflichtteils sinken.
3. Bas Pflichtteilsrecht gegenüber #chenkungen des Erblasser-z unter Lebenden.
§ 446.
I. Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung unter Lebenden ge-
macht, so kann der Pflichtteilsberechtigte — abgesehn von dem nach den bisher
entwickelten Regeln zu bestimmenden ordentlichen — noch einen außerordent-
lichen Pflichtteil, den Ergänzungspflichtteil, fordern; dieser besteht in
dem Betrage, um den der ordentliche Pflichtteil sich erhöht, wenn der verschenkte
Gegenstand dem Nachlaß zugerechnet wird (2325 1).
1. Der Ergänzungspflichtteil kann von Schenkungen aller Art gefordert
werden.? Eine Ausnahme gilt:
a) wenn seit der Erfüllung der Schenkung bis zum Erbfall zehn Jahre
verstrichen sind; ist die Schenkung an den Ehegatten des Erblassers erfolgt, so
beginnt die zehnjährige Frist nicht vor Auflösung der Ehe (2325 III);
b) wenn die Schenkung durch Anstand oder Sitte geboten war (2330).
2. Bei der Berechnung des Ergänzungspflichtteils wird der verschenkte
Gegenstand mit dem Wert zur Zeit des Erbfalls angesetzt; war jedoch der
Wert des Gegenstandes zur Zeit der Schenkung geringer, so wird nur dieser
geringere Wert in Ansatz gebracht (2325 II). Hat der Pflichtteilsberechtigte
aus dem Nachlaß mehr erlangt als den vollen ordentlichen Pflichtteil, so ist der
Mehrbetrag von dem Ergänzungspflichtteil abzuziehn (s. 2326).
Beispiel. Der Witwer A. schenkt 1900 seiner Schwester B. und bald darauf auch seinem
Bruder C. je 90000 Mk.; später erleidet er große Vermögensverluste, so daß, als er 1909
1) Pütter bei Gruchot 47 S. 348; Vater ebenda S. 527; Hahn, Recht auf Ergänzung
des Pflichtteils (05).
2) Siehe RG. 54 S. 399.