§ 52. Staatsaufsicht. 97
beschwert und auch der Kreisrath selbst von Amtswegen keine Veranlassung zum Hader
mit ihnen hat. Kommt es dagegen zum Unfrieden, mag nun von privater Seite eine
Beschwerde über die Gemeindeverwaltung eingehen oder mag der Kreisrath persönlich
mit der Gemeinde unzufrieden sein, so wird die Machtvollkommenheit des Kreisraths
abgeschwächt: so lange freilich, als es sich bloß um Beschlüsse des Bürgermeisters handelt,
kann der Kreisrath gegen ihn auf eigene Faust vorgehen oder Beschwerden, die erhoben
werden, einseitig entscheiden ). Sind dagegen Beschlüsse der Gemeindevertretung in
Frage, so geht die Entscheidung vom Kreistag auf den Kreisausschuß über.
Dies Verhältniß findet deutlichen Ausdruck in dem Satze, daß überall, wo zu
einem Beschlusse der Gemeindevertretung staatliche Genehmigung nöthig ist, diese Ge-
nehmigung vom Kreisrath allein zwar gewährt, aber nur vom Kreisausschuß verweigert
werden kann. Ganz angemessen, da die Gewährung der Genehmigung den Frieden, die
Verweigerung dagegen den Unfrieden bedeutet. Ebenso kann die Wahl eines ländlichen
Bürgermeisters vom Kreisrath bestätigt, dagegen nur vom Kreisausschuß verworfen werden.
In einigen besonders wichtigen Fällen ist übrigens die Ausübung der Staats-
aufsicht sowohl dem Kreisrath wie dem Kreisausschuß entzogen, und dem Großherzog?)
oder dem Ministerium vorbehalten 5.
Daß übrigens auch der Bürgermeister bei der Staatsaufsicht mitwirkt, ist bereits
erwähnt!).
2. Damit die Staatsaufsicht einerseits mit dem gebührenden Nachdruck zur vollen
Wahrung des öffentlichen Interesses ausgeübt werde, andererseits aber doch nicht zu einer
überängstlichen Bevormundung oder gar zu einer Vergewaltigung der Gemeinden aus-
arte, ist ein fester Instanzenzug und ein festes Verfahren für sie ausgebildet. Dabei
wird unterschieden wie folgt.
a) In „Gemeindeverwaltungssachen" greift das reine Verwaltungsstreit-
verfahren mit drei Instanzen — Kreisausschuß, Provinzialausschuß, Verwaltungs-
gerichtshof — platz. Hierher gehört, wie bereits erwähnt, vor allem die Feststellung
einer Ausgabepflicht der Gemeinde, welche gesetzlich nach Art oder Höhe nicht festgestellt
ist; ferner ein Streit zwischen mehreren Gemeinden über die Frage, welche von ihnen
bestimmte öffentliche Ausgaben zu tragen habes), endlich über die Veranlagung oder
Erhebung der Gemeindeumlagen 0.
b) In anderen Fällen findet ein gemischtes Verwaltungsstreitverfahren statt.
Und zwar in zwei Hauptformen.
a)Mündliche Verhandlung vor Kreisausschuß in erster, Provinzialausschuß in
zweiter Instanz, schriftliches Verfahren vor dem Ministerium in dritter Instanz. Diese
Form gilt bei allen Beschwerden gegen Beschlüsse der Gemeindevertretungen, für welche
nicht etwas anderes vorgeschrieben ist?).
1) Ausnahme z. B. bei Disciplinarverfügungen des Bürgermeisters, wo im Beschwerdefall
nicht der Kreisrath, sondern der Kreisausschuß entscheidet, K O. 48 III, 5.
2) Bestätigung der Wahl städtischer Bürgermeister und Beigeordneter.
3) Genehmigung von Lokalstatuten, Auflösung der Gemeindevertretung u. f. f.
4) Oben S. 89.
5) KO. Art. 48 II, 3. Anders wenn behauptet wird, daß für die Ausgabe ein privatrechtlich
Verpflichteter vorhanden sei und die Gemeinde nur subsidiär hafte. Dann wird die privatrechtliche
Verpflichtung im Rechtswege entschieden; doch ist provisorisch für die Dauer des Streits der Pflich-
tige zu bezeichnen, und diese provisorische Entscheidung wird im gemischten Verw. Streitverf. und
zwar in der Form b8 gefällt, K O. Art. 48 III, 1.
6) KO. Art. 48 II, 2, 3, 5. Außerdem noch Streitigkeiten über bestrittene Ansprüche der
Ortsbürger am Genusse des Gemeindevermögens und über die Organisation oder örtliche Abgrenzung
von Armenverbänden, KO. 48 II, 1 u. 4.
7) KO. Art. 48 III, 4. Außerdem im Falle Art. 48 III, 5.
Handbuch des Oeffentlichen Rechts III. 2. Aufl. Hefsen. 7