Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

104 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 8. Verw. in Bezug auf das phyfische Leben. 88 57 u. 58. 
III. Kapitel. 
Verwaltung in Bezug auf das physische Leben. 
§ 57. a. Armenwesen. Die Grundlagen der Armenpflege sind reichsgesetzlich 
bestimmt. Nur für die Ausführungsbestimmungen kommt das hessische Recht in Betracht. 
1. Ortsarmenverbände sind die Gemeinden und selbständigen Gemarkungen; Land- 
armenverbände find die Kreise 1). Indeß hat es sich gezeigt, daß durch die Landarmen- 
last die verschiedenen Kreise außerordentlich ungleich betroffen wurden; deßhalb ist neuer- 
dings 2) bestimmt, daß der Staat jedem Kreise als Beitrag zu den Landarmenausgaben 
eine Pauschsumme zur Verfügung stellt. Die Pauschsumme besteht in der Hälfte der 
Beträge, welche der Kreis in Folge der Landarmenlast im Durchschnitt der drei letzten 
Jahre hat verausgaben müssen, und wird alle drei Jahre von neuem festgesetzt. Dadurch 
wird die Verschiedenheit der Belastung der einzelnen Kreise erheblich vermindert, anderer- 
seits aber jeder Kreis, da ihm immerhin die Hälfte seiner Ausgaben endgültig als Be- 
lastung verbleibt, doch zu einer möglichst sparsamen Wirthschaft veranlaßt. — Ist ein 
Ortsarmenverband unvermögend, seine Armenlast zu tragen, so hat der Landarmen- 
verband, zu dem er gehört, ihn zu unterstützen 3). 
2. Die Verwaltung des Armenwesens geschieht durch die kommunalen Organe der 
Gemeinden und der Kreise oder durch besondere Kommissionen, welche von der Gemeinde- 
vertretung oder dem Kreistage eingesetzt werden. Staatsaufsicht wie bei der sonstigen 
Kommunalverwaltung; insbesondere kann die Gemeinde durch den Kreisausschuß gezwungen 
werden, erhöhte Geldbeträge zur Bestreitung der Armenlast in den Etat einzustellen, 
einen Armenarzt anzunehmen u. f. f. 
3. à) Wenn ein Armer sich darüber beschwert, daß ein Ortsarmenverband ihm 
die Unterstützung verweigert oder ungenügend gewährt, so entscheidet der Kreisausschuß. 
Geht die Beschwerde gegen einen Landarmenverband, so entscheidet der Provinzialausschuß. 
Beide Entscheidungen sind endgültig und erfolgen im gewöhnlichen Beschlußverfahren 0. 
b) Wenn zwei Orts= oder Landarmenverbände darüber streiten, wer von ihnen 
einen Armen zu unterstützen hat oder wieviel ein Verband wegen Unterstützung eines zu 
einem fremden Verbande gehörigen Armen von letzterem Verbande erstattet verlangen 
kann, so entscheidet der Provinzialausschuß im Verwaltungsstreitverfahren. Rekurs an 
das Bundesamt für Heimathwesen?). 
4. Jeder Apotheker ist verpflichtet, Arzneien auf Kredit abzugeben. Stellt sich 
binnen Jahresfrist heraus, daß der Empfänger zahlungsunfähig ist, so kann der Apo- 
theker Bezahlung vom Armenverband fordern ). 
§ 58. b. Arbeiterversicherung. Auch hier sind die Grundlagen durch die Reichs- 
gesetze gegeben, und nur einzelne hessische Ausführungsbestimmungen sind zu erwähnen. 
1. a) Allgemeine Krankenversicherung?). Die Aufsicht führt in den Stadtgemeinden 
der Bürgermeister, in den Landgemeinden der Kreisrath. Die Statuten der Ortskranken- 
kassen werden von der Gemeindevertretung aufgestellt und vom Kreisrath genehmigt; die 
Genehmigung kann nur mit Zustimmung des Kreisausschusses versagt werden; die Auf- 
lösung von Ortskrankenkassen geschieht durch den Kreisausschuß. — Ueber Streitigkeiten 
zwischen den Arbeitern und Arbeitgebern einer= und den Krankenkassen andererseits ent- 
1) Ausf. Ges. v. 14. Juli 1871, Art. 2—7. 
2) Ges. v. 24. Mai 1893. 
3 Ausf.Ges. Art. 18. 
4) KO. Art. 48 II, Nr. 7, 67; 98, 2 h, 111. 
5) KO. Art. 98, 2 g, 111, Abs. 4. 
6) Ges. v. 30. Okt. 1860. Erk. des Landgerichts Mainz, Z. 11, S. 148. 
7) Ausf. Verordn. v. 5. Nov. 1892.
	        
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