108 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 4. Verw. in Bezug auf das wirthschaftliche Lteben. § 60.
IV. Kapitel.
Verwaltung in Bezug auf das wirthschaftliche Teben.
A. Allgemeiner Theil.
§ 60. a. Bauwesen. 1. Hauptquelle: das umfassende Gesetz betr. die allgemeine
Bauordnung vom 30. April 18811) mit Zusatz vom 5. Okt. 1886 und Ausf.V. vom
1. Febr. 1882, 29. Nov. 1884, 18. Juli 1887. Dazu kommen Ortsstatuten und ört-
liche Polizeireglements.
2. Zur Errichtung neuer Gebäude, zu jeder Hauptänderung an der Straßenseite
eines alten Gebäudes und zu jeder Neuerrichtung oder Aenderung einer Feueranlage ist
polizeiliche Genehmigung nöthig, die in den Städten vom Bürgermeister oder Polizei-
amt, in den Landgemeinden vom Kreisamt ertheilt wird; ein Lokalpolizeireglement kann
noch für andere Bauanlagen (Mauern, Gruben u. s. f.) die Genehmigung der Behörde
oder doch eine Anzeige an diese vorschreiben. Vor Ertheilung der Baugenehmigung sind
die Nachbarn über ihre etwaigen Einwendungen zu hören; privatrechtliche Einwendungen
sind natürlich auf den Rechtsweg zu verweisen. Jede genehmigungspflichtige Anlage ist
nach Beendigung des Rohbaus von der Ortspolizeibehörde zu besichtigen. Feuerstätten
sind alljährlich polizeilich zu kontrolliren.
3. Für die Ausführung baulicher Anlagen bestehen gemäß Gesetz, Ortsstatut u. s. f.
höchst genaue Vorschriften, z. B. über Brandmauern und Dachbekleidung. Die Orts-
statuten können auch Vorschriften über das Aeußere der Gebäude, Erneuerung des An-
strichs, Anlegung von Vorgärten u. dgl. hinzufügen und zwar auch aus rein ästhetischen
Gründen. Von allen diesen Vorschriften kann aber das Ministerium des Innern und
der Justiz im Einzelfall Dispense ertheilen, mit der Maßgabe, daß wenn die Vorschrift
auf Ortsstatut (bezw. Lokalpolizeireglement) beruht, die Dispensation nur mit Zustim-
mung der Gemeindevertretung (bezw. des Kreisausschusses) statthaft ist, auf daß die be-
sonderen örtlichen Interessen nicht von der Centralstelle beeinträchtigt werden.
4. Für jede Gemeinde kann ein Ortsbauplan aufgestellt werden. Er ist vom
Gemeindevorstand zu entwerfen und nach Abwartung einer Frist, binnen derer die Be-
theiligten gegen den Plan Einwendungen erheben können, vom Ministerium des Innern und
der Justiz nach vorausgehender gutachtlicher Anhörung des Kreisausschusses endgültig
festzustellen; bezieht sich der Bebauungsplan nur auf einzelne Straßentheile, so erfolgt die
Feststellung durch das Kreisamt. Der Bauplan hat Richtung und Größe der Straßen und
Plätze, die Baufluchtlinie u. s. f. anzugeben. Die rechtliche Bedeutung des Plans ist folgende.
a) Die Gemeinde kann dasjenige Gelände, welches nach dem Plane für Straßen,
Plätze u. dgl. vorgesehen ist, enteignen. Wann und in welchem Umfange die Enteignung
erfolgt, bestimmt die Gemeinde frei; sie braucht also den Bauplan nicht sofort auf ein-
mal auszuführen.
b) Bis die Enteignung erfolgt, kann der Eigenthümer sein Grundstück nach Be-
lieben benutzen; doch wird eine Kulturveränderung, welche den Werth des Grundstücks
erhöht, später, wenn es wirklich zur Enteignung kommt, bei der Festsetzung der Ent-
schädigungssumme nicht berücksichtigt, es sei denn, daß die Gemeinde die Kulturverände-
rung genehmigt oder nach Ablehnung der Genehmigung die Enteignung noch drei Jahr
hinausgeschoben hat. Auf Bauten, welche der Eigenthümer dem Bauplan zuwider aufführt,
wird bei der Entschädigung gleichfalls keine Rücksicht genommen; im Gegentheil muß der
Eigenthümer sie, wenn es zur Ausführung des Bauplans kommt, auf seine Kosten entfernen.
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1) Kommentar v. Pfaff, 1883.