120 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 4. Verw. in Bezug auf das wirthschaftl. Leben. § 65.
Gebot stehen, find, wie bereits oben S. 58 dargelegt, Ausführung durch Dritte, Fest-
setzung von Geldstrafen, persönlicher Zwang.
Zweitens: die Regierung muß, wenn sie ihr Erwerbsrecht geltend macht, zwar
der Aktiengesellschaft Zug um Zug die vorgeschriebene Entschädigung anbieten; aber es
genügt, daß sie diejenige Entschädigung anbietet, welche sie für richtig hält, und es ist
nicht etwa erst die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Höhe der Entschädi-
gung abzuwarten. Denn das gerichtliche Urtheil hat ja nicht konstitutive, sondern nur
deklaratorische Bedeutung. Man denke z. B. an den Pfandgläubiger, dessen Forderung
von einer ihm selber obliegenden Gegenleistung abhängig ist: in denjenigen Gebieten, in
welchen der außergerichtliche Pfandverkauf statthaft ist, kann keine Rede davon sein, daß
solch ein Pfandgläubiger zunächst die Höhe seiner Gegenleistung durch rechtskräftiges Ur-
theil feststellen lassen müßte, ehe er zum Pfandverkauf schreiten darf; sondern der
Gläubiger bietet die Gegenleistung so an, wie er sie für richtig hält; der Gegner mag
dann später gegen ihn klagen, und das Urtheil wird alsdann nachträglich erklären, ob
der Gläubiger seine Leistung richtig bestimmt hat. Demgemäß gilt denn auch im Ent-
eignungsrecht, bei der Rücknahme von Gewerbekonzessionen u. s. f. die Regel, daß die
Enteignung und die Einstellung des Gewerbebetriebes durchaus nicht aufgeschoben zu werden
braucht, bis die Entschädigung gerichtlich festgestellt ist. Wäre es doch auch mit der Würde eines
Staats und dem Ernst seiner öffentlichen Interessen kaum vereinbar, wenn er mit dem
Erwerbe einer wichtigen in seinem Gebiete belegenen Eisenbahn warten müßte, bis er
mit den Eisenbahn-Aktionären über alle Einzelposten einer fünfjährigen Betriebsrechnung
durch drei Instanzen hindurch prozessirt hat.
Die Einzelheiten der Streitfragen, welche bei der Verstaatlichung der Ludwigsbahn
hervortreten mögen, lassen sich zur Zeit nur zum Theil übersehen. An dieser Stelle kann
auf sie nicht eingegangen werden.
c) Weitere Regeln bestehen für die Nebenbahnen, laut Gesetz vom 29. Mai 1884.
Jede neue mit Dampfkraft oder anderen mechanischen Motoren betriebene Nebenbahn — also
nicht auch eine bloße Pferdebahn — bedarf besonderer landesherrlicher Konzession, wobei
die Regierung sich das Recht der Zustimmung zum Bauplan und zu den Fahrplänen
und Tarifen sowie die Oberaufsicht über den Bahnbetrieb vorbehält; wird der Betrieb
unterbrochen oder gefährdet er die öffentliche Sicherheit, so kann die Konzession zurück-
genommen und die Bahn verkauft werden. Auch abgesehen hiervon kann die Regierung
fordern, daß der Betrieb der Nebenbahn der Verwaltung einer anschließenden Bahn
überlassen werde; dann ist aber der Unternehmer der Nebenbahn mit einer Rente zu
entschädigen, die dem Durchschnitt der Reineinnahme der letzten 3 Jahre entspricht, mindestens
aber 4½ % des Anlagekapitals ausmacht. Auf Verlangen der Regierung ist die Nebenbahn
in eine Hauptbahn zu verwandeln; lehnt der Unternehmer dies ab, so verfällt seine
Konzession, er ist aber in Höhe des Anlagekapitals oder mit einer Rente, wie sie in
dem zuletzt besprochenen Falle zu zahlen ist, zu entschädigen. Ob der Staat sich noch
in anderer Art das Recht ausbedingt, die Bahn für eigene Rechnung zu erwerben, hängt
von der Abrede mit dem Unternehmer ab. — Der Nebenbahn kann die unentgeltliche
Benutzung der öffentlichen Straßen für ihren Betrieb gestattet werden. — Der Staat
gewährt den Nebenbahnen einen Zuschuß. Das Gesetz stellt für diesen Zuschuß genaue
Regeln auf; indeß sind diese Regeln „imperkectae"“; denn sie verweisen auf ein für jeden
Einzelfall zu erlassendes Sondergesetz!), und dies Sondergesetz ist selbstverständlich an
jene Regeln nicht gebunden; die Regeln enthalten also lediglich ein juristisch belang-
1) Ges. v. 29. Mai 1884, Art. 4, Abf. 2.