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§J 74. h. Handel. 1. Oberste Behörde das Ministerium des Innern und der
Justiz. — Unter diesem stehen die Handelskammern 1) in Darmstadt, Offenbach, Mainz,
Bingen, Worms und Gießen. Die Mitglieder der Handelskammern werden auf je 3 Jahr
von den im Handelsregister eingetragenen Kaufleuten, sofern sie einer der 4 ersten Ge-
werbesteuerklassen angehören, gewählt. Ihre Aufgabe ist, die Interessen des Handels der
Staatsregierung gegenüber zu vertreten; zu diesem Zweck haben sie alljährlich einen Be-
richt über die Entwickelung des Handels in ihrem Bezirk zu erstatten.
2. In Mainz ist eine Börse eingerichtet). Für den hessischen Geld= und Effekten-
verkehr ist freilich die Börse in Frankfurt a. M. wichtiger wie die Mainzer.
3. Amtliche Handelsmakler sind nicht bestellt ).
V. Kapitel.
Verwaltung in Bezug auf das geistige Leben.
§ 75. a) Unterrichtswesen. I. Die gewöhnliche Volksschule"). 1. Die Er-
richtung der Volksschulen ist Sache der Ortsgemeinden; doch nicht ihres freien Willens.
Bielmehr muß jede Ortsgemeinde, in der 30 schulpflichtige Kinder vorhanden sind, eine
eigene Volksschule besitzen; unter besonderen Umständen ist dies auf Beschluß des Kreis-
ausschusses sogar bei kleineren Ortsgemeinden der Fall; regelmäßig werden dagegen kleinere
Gemeinden gruppenweise zu „Schulgemeinden“ mit einer gemeinsamen Schule vereinigt.
— Größere Schulen zerfallen in mehrere Klassen, jede mit eigenem Lehrer und höchstens
80 (ausnahmsweise 100) Schülern; bei kleineren Schulen genügt eine Klasse mit zwei
Abtheilungen unter einem Lehrer. — Errichtung sowohl wie Auflösung von Schulen
bedarf ministerieller Genehmigung.
2. Die Volksschulen sind für die Kinder sämmtlicher Gemeinde-Einwohner ohne
Unterschied des Glaubensbekenntnisses bestimmt („Gemeinsame“ oder „Simultan-
schulen"). Bei den Lehrern wird dagegen auf deren Glaubensbekenntniß Rücksicht ge-
nommen: Einzellehrer sind dem Bekenntniß zu entnehmen, zu dem die Mehrzahl der
Einwohner gehört; bei Schulen mit mehreren Lehrern sollen die Lehrer aus allen in der
Gemeinde vertretenen Religionsgemeinden (natürlich mit Rücksicht auf deren Stärke) ent-
nommen werden. — Doch ist dies Verhältniß nur die Regel. Wo sich nämlich aus
früherer Zeit noch Volksschulen vorfinden, die nach dem Bekenntniß getrennt sind (, kon=
fessionelle Schulen"), bleiben sie fortbestehen.
Solche konfessionellen Schulen älterer Art können übrigens in Simultanschulen
umgewandelt werden. Wenn eine der Schulen drei Jahre hindurch unter die Zahl von
30 Schülern sinkt, genügt der Beschluß des Gemeindevorstandes. Andernfalls ist der
Mehrheitsbeschluß einer Versammlung erforderlich, zu der außer dem Gemeindevorstand
die betheiligten Schulvorstände und soviel gewählte Vertreter der betheiligten Religions=
gemeinden gehören, als nöthig ist, damit jede der Religionsgemeinden in der Versamm-
lung gleich viel 5) Mitglieder zählt; bei der Wahl dieser Vertreter ist wahlberechtigt und
wählbar nur, wer der betreffenden Religionsgemeinde angehört und zugleich bei den
Wahlen zur Ortsgemeindevertretung wahlberechtigt und wählbar ist. Ueber das Ver-
mögen der bisherigen konfessionellen Schulen ist durch Ueberein kunft zwischen den Ge-
meinde= und Schulvorständen Beschluß zu fassen. Kommt diese Uebereinkunft nicht zu
1) Ges. v. 17. Nov. 1871. 2) V. v. 19. Aug. 1864.
3) Obschon ihre Bestellung in der V. v. 22. Sept. 1864 vorgesehen war.
4) Volksschulgesetz vom 16. Juni 1874. G. Müller, das Volksschulwesen im Großher-
zogthum Hessen.
5) So auch dann, wenn die Stärke der Religionsgemeinden sehr verschieden ist. Verh. der
II. Kammer, 21. Landtag, Prot. II, 36, S. 65.
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