136 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 5. Verwaltung mit Bezug auf das geistige Leben. 8 76.
Sie verwaltet ihre Angelegenheiten unter Oberleitung des Ministeriums des Innern
und der Justiz selber durch das Plenum der ordentlichen Professoren (Großer Senat),
einen von dem Plenum auf je zwei Jahre gewählten Ausschuß (Engerer Senat) und
den gleichfalls vom Plenum auf ein Jahr gewählten, vom Großherzog bestätigten Rektor.
Der Engere Senat ist zugleich akademische Disziplinarbehörde. Als eine Art staatlichen
Kommissars gegenüber der Landesuniversität diente früher der Kanzler; doch werden
seit 1888 die Kanzlergeschäfte immer dem jeweiligen Rektor unter Beihülfe eines höheren
Staatsbeamten (Universitätsamtmann) übertragen. Angelegenheiten finanzieller Art
werden von der Administrativkommission bearbeitet, die aus dem Rektor, zwei vom
Plenum gewählten Mitgliedern und dem Universitätsamtmann besteht.
b) Etwas einfacher ist die technische Hochschule zu Darmstadt organisirt.
VI. Privatunterrichtsanstalten)), deren Benutzung von dem Besuche
der öffentlichen Volksschule entbinden soll, können nur mit Genehmigung der Ministerial-
abtheilung errichtet werden. Sie stehen unter Aufsicht der Kreisschulkommission. Werden
die Anordnungen der letzteren beharrlich nicht beachtet, so kann die Anstalt aufgelöst
werden. Nimmt die Anstalt nur Schüler über oder unter dem schulpflichtigen Alter auf,
so ist besondere Genehmigung nicht nöthig, sondern es genügt Anzeige an die Kreis-
schulkommission. Letztere hat die Aufsicht. Aus Gesundheitsrücksichten oder wenn der
Unterricht den guten Sitten zuwiderläuft oder den Staat gefährdet, kann auch diese
Anstalt aufgelöst werden.
§ 76. b. Beaufsichtigung von Pflegekindern, Waisen, verwahrlosten Kindern u. s. f.
1. Kinder, deren Vater oder Mutter am Leben ist?), dürfen, solange sie unter sechs Jahren,
nur mit Erlaubniß der Ortspolizei in fremde Pflege gegeben werden. Die Genehmigung
ist zu versagen, wenn die Pflegeeltern keine Sicherheit für ordentliche Pflege der Kinder
geben, und sie ist zurückzunehmen, wenn die Pflegeeltern das Kind vernachlässigen.
Nöthigenfalls ist das Kind den Pflegeeltern fortzunehmen und den wirklichen Eltern
zurückzuführen oder auf deren Kosten anderweit unterzubringen. Die Pflegeeltern können
fortlaufend von Ortspolizei und Kreisgesundheitsamt beaufsichtigt werdens).
2. Waisenkinder werden, wenn sie unbemittelt sind, von der Landeswaisenanstalt")
verpflegt. Doch gibt diese Anstalt nur die Geldmittel; die Pflege selber geschieht durch
Pflegeeltern, welche vom Bürgermeister unter Mitwirkung des Geistlichen, des Vormund-
schaftsgerichts und des Kreisamts kontraktlich bestellt werden.
3. Taubstumme Kinder können in den Anstalten zu Friedberg und Bensheim,
Blinde in der Anstalt zu Friedberg, Idioten im Alicestift zu Darmstadt erzogen werden.
Die Anstalten werden sämmtlich vom Staate verwaltet, unter Aussicht der Ministerial-
abtheilung für Schulangelegenheiten. Für jeden Zögling ist Pflegegeld zu zahlen; ist
der Zögling arm, so ist das Pflegegeld meistens — jedoch unter Ermäßigung des Be-
trages — vom Armenverbande zu zahlen ?5).
4. Verwahrloste Kinder bis zu 16 Jahren können in Zwangserziehung genommen
werden"). Diese Maßregel ist zunächst vom Straf= oder Vormundschaftsgericht für
zulässig zu erklären; gegen den Beschluß des Vormundschaftsgerichts Beschwerde an das
Landgericht mit einwöchiger Frist. Sie wird durch Beschluß des Kreisamts ins Werk
gesetzt. Die Zwangserziehung hört auf, sobald sie ihren Zweck erreicht hat, spätestens
aber mit dem 18. Lebensjahre des Zöglings; wenn das Kreisamt die Entlassung des
3 Ges. v. 16. Juni 1874, Art. 28.
2) Ges. v. 10. Sept. 1878. 3) 3. 5, S. 62.
4) Zeller, S 293. 5) Zeller 1, S. 296.
6) Ges. v. 11. Juni 1887.