140 Sechster Abschnitt: Landesverwaltung. 5. Verwaltung mit Bezug auf das geistige Leben. 8 78.
d) Kein Geistlicher darf öffentliche Vorträge in einem zu religiösen Versamm-
lungen bestimmten Orte dazu anwenden, um aus Anlaß einer öffentlichen nicht rein
kirchlichen Wahl auf die Wahlberechtigten in einer bestimmten Parteirichtung ein-
zuwirken.
e) Geistliche oder sonstige Beauftragte einer Religionsgemeinschaft, welche sich
gegen die vorbezeichneten Regeln vergehen oder welche der in Bezug auf ihre Amts-
verrichtungen von der Behörde getroffenen rechtmäßigen Anordnungen nicht Folge leisten,
werden mit Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Haft oder Gefängniß bis zu einem Jahre
bestraft, in Wiederholungsfällen mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark oder Gefängniß bis
zu zwei Jahren.
8. Die gerichtliche Verfolgung eines kirchlichen Beamten ist von der Zustimmung
einer kirchlichen oder Verwaltungsbehörde unabhängig ?.
9. Alle mit Korporationsrechten versehenen Religionsgemeinschaften haben das
Recht, ihre Angehörigen zur Bestreitung der kirchlichen oder religiösen Bedürfnisse zu
besteuern 2), sofern die Einkünfte ihres Vermögens oder die ihr sonst zu Gebote stehenden
Mittel zur Deckung der Bedürfnisse nicht genügen. Die Steuern werden nicht nach
einem von der Kirche selbständig gefaßten Maßstabe, sondern nach Verhältniß der Kom-
munalsteuerkapitalen der Kirchenmitglieder auf diese vertheilt; sie werden auch zugleich
mit den Kommunalsteuern beigetrieben 3). Die Ausschreibung der Steuern ist an folgende
Bedingungen geknüpft.
a) Die Steuer ist von der Kirchenvertretung zu genehmigen, und zwar, wenn es
sich um eine Steuer für eine einzelne Religionsgemeinde handelt, von der kirchlichen
Vertretung gerade dieser Gemeinde; wenn es sich dagegen um Besteuerung eines größeren
mehrere Gemeinden umfassenden Verbandes oder um die Besteuerung der ganzen Reli-
gionsgemeinschaft handelt, so muß der Vertretungskörper des größeren Verbandes oder
die Gesammtvertretung der betreffenden Religionsgemeinschaft die Zustimmung ertheilen,
während die Zustimmung der einzelnen Gemeindevertretungen nicht nöthig ist. Hieraus
folgt, daß das Besteuerungsrecht nur für solche Religionsgemeinschaften gilt, die eine
Repräsentativverfassung eingeführt haben, und daß, wenn eine Religionsgemeinschaft
einen Vertretungskörper nur in den Einzelgemeinden besetzt, nur für diese Einzel-
gemeinden, nicht für größere Verbände oder gar für die gesammte Religionsgemeinschaft
eine Steuer ausgeschrieben werden kann. Die Repräsentativverfassung muß auf einem
landesherrlich genehmigten Statut, oder — wenn es sich nur um Einzelgemeinden
handelt — auf einem Erlaß des Ministeriums des Innern und der Justiz beruhen.
b) Außer der Zustimmung der kirchlichen Gemeindevertretung ist für jede Steuer
staatliche Genehmigung vorgeschrieben. Sie wird vom Kreisamt, oder wenn dieses Be-
denken trägt, vom Ministerium des Innern und der Justiz ertheilt. Bei Steuern, die
auf die gesammte Religionsgemeinschaft gelegt werden, ist von vornherein Genehmigung
des Ministeriums nöthig. Die Genehmigung kann nicht bloß aus Rechts-, sondern auch
aus Zweckmäßigkeitsgründen versagt werden.
J) Endlich sind auch die politischen Gemeinden mit ihren etwaigen Einwendungen
gegen die Steuer zu hören; die politischen Gemeinden können sogar, wenn die Steuer
kreisamtlich genehmigt ist, noch im Rekurswege die Aufhebung der Steuer beim Mini-
1) Ges. v. 23. April 1875, die rechtl. Stellung d. Kirchen u. s. f. betr., Art. 4.
2) Ges. v. 23. April 1875, das Besteuerungsrecht der Kirchen u. s. f. betr. Z
3) Beschwerde gegen die Veranlagung zur Kirchensteuer werden wie Beschwerden gegen die
Veranlagung zur Gemeindesteuer behandelt, also im reinen Verwaltungsstrafverfahren ausgetragen.
Entsch, d. Verw.G.'s, Z. 2, S. 139.