82. Rechtsstellung des Großherzogs. 5
konnte somit auch keine Rede davon sein, daß mit dem einen Domänendrittel die Rechte des
Staats an der Aktivmasse abgefunden oder abgelöst worden seien, und die verbleibenden
zwei Drittel dem Landesherrn als freies Privateigenthum hätten überlassen werden
können. Vielmehr war auch bezüglich der übrigen zwei Drittel die Auseinandersetzung
zwischen Staat und Landesherrn fortzusetzen. Und zwar wäre, wenn man sich auf den
reinen Rechtsstandpunkt hätte stellen wollen, die Auseinandersetzung derart vorzunehmen
gewesen, daß dem Staate voll und unverkürzt der Werth des bisherigen Landesguts zu-
gewiesen wurde, während der Werth des Kammerguts, dessen Einkünfte bisher, wie
erwähnt, gemeinschaftlich für das Bedürfniß des Staats und des Hofhalts gedient hatten,
nach Verhältniß dieses Bedürfnisses zwischen Staat und Landesherrn getheilt werden
müßte. Doch hätte diese Art der Auseinandersetzung zu den größten Verwickelungen
geführt. Man entschied sich deßhalb für folgenden Ausweg. Die übrig bleibenden zwei
Drittel der Domänen wurden nicht weiter getheilt, weder reell noch ideell, wohl aber
dem Rechte nach, indem das Eigenthum vollständig dem großherzoglichen Hause, da-
gegen die Nutzung und Verwaltung vollständig dem Staate zugewiesen wurde, der
Staat aber zugleich die Last übernahm, den gesammten Bedarf des großherzoglichen Hof-
haltes aus Staatsmitteln zu bestreiten.
Hiernach ist dem Großherzog und seinem Hause durch die hessische Verfassung ein
doppeltes Vermögensrecht zugesprochen worden.
a)Das Eigenthum an zwei Dritteln der bei Erlaß der Verfassung
vorhandenen Domänen). Aber nur das nackte Eigenthum; dagegen gebührt die
Verwaltung und Nutzung dieser Domänen dem Staate, die Einkünfte der Domänen
fließen in die allgemeine Staatskasse und werden für die allgemeinen Staatsbedürfnisse
verwendet; endlich ist auch eine Veräußerung oder Verpfändung der Domänen nur mit
Zustimmung der Stände erlaubt. Das Eigenthum an den Domänen hat also zunächst
keinerlei finanzielle Vortheile für den Großherzog, es scheint kein wirkliches Recht zu
sein, sondern nur der Name eines Rechts. Immerhin ist der Satz, daß die Domänen
nicht dem Staate, sondern dem großherzoglichen Hause als Eigenthum zugehören, nicht
bedeutungslos. Vielmehr folgt daraus einmal, daß bei einer Veräußerung der Domänen
nicht bloß der Großherzog und der Landtag, sondern auch die großherzoglichen Agnaten
ihre Zustimmung geben müssen; dieser Satz ist z. B. bei der Veräußerung des groß-
herzoglichen Palais in Frankfurt a. M. praktisch geworden?). Wichtiger ist ein zweites:
die Staatsgläubiger können sich nicht an die Substanz der Domänen halten. Freilich
könnten sie die Nutzung der Domänen für sich in Anspruch nehmen; denn diese Nutzung
ist ja vom großherzoglichen Hause auf ewige Zeit dem hessischen Staate überlassen, kann
also auch dem Zugriffe der Staatsgläubiger nicht entzogen werden; der hessische Staat
hat aber Zug um Zug mit dem Erwerbe der Domänennutzung die Verpflichtung über-
nommen, den Hofhaltbedarf des großherzoglichen Hauses zu decken, und die Gläubiger
müssen also, wenn sie die Nutzung der Domänen für sich in Anspruch nehmen, auch in
diese damit verbundene Last eintreten; lehnen die Gläubiger die Uebernahme der
Last ab, so kann das großherzogliche Haus einfach die Herausgabe der Domänen an sich
fordern, kann die Domänen vindiziren. Die gleiche Regel müßte auch gegenüber ein-
dringenden Feinden, ja, sie müßte auch dann gelten, wenn das großherzogliche Haus
des hessischen Thrones verlustig gehen sollte. So ist denn das Eigenthum des
großherzoglichen Hauses an den Domänen der denkbar schärfste Ausdruck
1) Ueber die später erworbenen Domänen fiehe unten Abschn. IV.
2) II. Kammer, 22. Landt. Protokolle, Bd. 6, Nr. 71, S. 21.