Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

83. Erwerb und Verlust der Regierungsgewalt. 11 
fünf an der Zahl, in Betracht!). Mithin würde Hessen in sechs Theile zerstückelt. Die 
Untheilbarkeit Hessens, die im Uebrigen zu Recht besteht, ändert hieran nichts; sie ist 
eben für diesen Fall von allen zur Verfügung berechtigten Personen vollgültig aufgehoben. 
Der Naumburger Vertrag ist freilich von Kaiser und Kurfürsten nicht bestätigt; 
leicht begreiflich, da der Vertrag zugleich den politischen Zweck verfolgte, die größeren 
protestantischen Staaten eng miteinander zu verknüpfen. Doch ist der Vertrag um dieses 
Mangels willen nur gegenüber dem Reiche ungültig, und mit der Auflösung des Reichs 
ist dieser Mangel geheilt. Unter den Parteien ist der Vertrag stets gültig gewesen . 
Wäre übrigens der Naumburger Vertrag ungültig, so trete an seine Stelle ein besonderer 
sächsisch-hessischer Erbverbrüderungsvertrag, zuerst 1373 geschlossen 3), da dieser Vertrag 
unstreitig von dem Kaiser und den Kurfürsten genehmigt ist. 
3. In letzter Reihe stehen die Kognaten"). Bei Mechrheit der Kognaten gibt 
den Vorzug „die Nähe der Verwandtschaft mit dem letzten Großherzoge, bei gleicher 
Nähe das Alter“. Entscheidend ist also nicht die Erstgeburt, welche schließlich der Linie 
der Regredienterbin den Vorzug geben würde, sondern die Gradesnähe mit Beziehung 
auf den letzten Großherzog. Es haben somit die männlichen Kognaten keinen Vorzug 
vor den weiblichen; und diejenigen Kognaten, deren agnatischer Zusammenhang mit dem 
letzten Großherzog früher durchbrochen ist oder welche gar durch mehrere kognatische 
Glieder mit ihm zusammen hängen, stehen um deßwillen nicht zurück. So würde z. B. 
die Tochter des erstgeborenen agnatischen Enkels des letzten Großherzogs durch die Tochter 
einer jüngeren Tochter des Großherzogs ausgeschlossen werden 3). Ist einmal ein Kognat 
zur Thronfolge gerufen, so tritt in dessen Familie alsbald wieder agnatische Erbfolge 
ein (Verfassung Art. 5). 
III. Die Rechtsstellung des Thronerben wird durch die Regeln des gemeinen 
deutschen Staatsrechts bestimmt. Der Thronerbe erlangt also die landesherrliche Würde 
von Rechts wegen, ohne daß es einer ausdrücklichen Annahmeerklärung oder gar einer 
Huldigung des Volks bedürfte. Allerdings soll er bei Antritt der Regierung den Ständen 
die unverbrüchliche Festhaltung der Verfassung in einer Urkunde zusichern, welche den 
Ständen zuzustellen und in dem ständischen Archive niederzulegen ist ). Allein der Erwerb 
der Landesherrschaft ist von der Erfüllung dieser Pflicht nicht abhängig; der Thronerbe 
kann also alle landesherrlichen Rechte schon vorher gültig ausüben. — Der Thronfolger 
muß alle Handlungen anerkennen, welche seine Vorgänger in ihrer Eigenschaft als Landes- 
herreu rechtsgültig vorgenommen haben. 
IV. Der Verlust der Regierungsgewalt geschieht durch Tod oder durch Ver- 
zicht des Landesherrn. Letzterer muß unbedingt sein. Dagegen ist eine Absetzung des Landes- 
herrn wegen Geisteskrankheit, Mißregierung u. dgl. staatsrechtlich nicht zulässig. 
Trotz der Abdankung bleibt der bisherige Landesherr für alle Handlungen seiner 
Regierungszeit unverantwortlich. Dagegen ist er für alle vor dem Regierungsantritt 
1) Abweichend gibt Weiß S. 215 der albertinischen als der „erstgeborenen" Linie den Vorzug 
und läßt erst eventuell Weimar u. s. w. erben. Wo das brandenburgische Erbrecht bleibt, verschweigt 
er, obschon er es S. 211, Anm. m., für gültig erklärt. Ebenso wie Weiß Gareis S. 57. 
2) Beseler, Erbverträge (1840) II, 2, S. 106. Abw. E. Löning, die Erbverbrüderungen 
zwischen den Häusern Sachsen und Hessen (1867), S. 82 ff. 
3) Hessisches Staatsrecht, Theil 2, S. 12, 26. 
4) Verf. 5. Nach älterem Recht waren die Kognaten garnicht erbfähig. 
5) In dem Streite zwischen Heinrich dem Kinde und Heinrich dem Erlauchten über die 
Thronfolge in Hessen gibt somit die hessische Verfassung dem ersteren, also gerade dem Ahnherrn 
des hessischen Fürstenhauses Unrecht. Denn ersterer war ein Großneffe, letzterer ein Neffe des letzten 
Landgrafen, Heinrich Raspe's. 
6) Verf. 106.
	        
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