12 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. 1. Staatsoberhaupt. 8 4.
oder nach der Abdankung vorgenommenen Handlungen verantwortlich. Seine landes-
herrlichen Rechte gehen durch die Abdankung verloren bis auf einzelne Ehrenrechte, z. B.
die bisherigen Titel. Vermögensrechtlich gilt er fortab einfach als großherzoglicher Prinz,
d. h. er empfängt statt der Civilliste höchstens eine Apanage.
§ 4. c. Die großherzogliche Familie. 1. Sie umfaßt die Agnaten des groß-
herzoglichen Hauses (oben S. 9), die ebenbürtigen Gemahlinnen des Großherzogs oder
der Agnaten, endlich deren Wittwen und Töchter solange bis sie mit Genehmigung des
Großherzogs eine ebenbürtige Ehe eingehen.
2. Die Angehörigen der großherzoglichen Familie sind, während sie im alten
Deutschen Reich reichsunmittelbar und nur dem Kaiser unterthan waren, jetzt einfach
Unterthanen des Großherzogs. Als solche unterstehen sie den gewöhnlichen Gesetzen des
Landes, soweit ihnen nicht ausnahmsweise Sonderrechte eingeräumt sind. Von solchen
Sonderrechten sind folgende zu nennen.
a) Die Agnaten werden mit 18 Jahren volljährig 7).
b) Hausgesetzliche Regeln bezüglich der Vormundschaft über minderjährige oder
geschäftsunfähige Prinzen und Prinzessinnen fehlen. Es gilt also gemeines Privatfürsten-
recht, d. h. der Großherzog erläßt die erforderlichen Bestimmungen von Fall zu Fall.
J) Nach gemeinem Privatfürstenrecht bedarf die Eheschließung und die Ehescheidung
jedes Mitgliedes des landesherrlichen Hauses der Zustimmung des Landesherrn. Dies
gilt auch für morganatische Ehen. Standesbeamter für die ganze großherzogliche Familie
ist der Minister des großherzoglichen Hauses?).
d) Civilprozesse sind gegen sie mit der einzigen Beschränkung zulässig, daß ein
Ehescheidungs= und ein Entmündigungsverfahren der Erlaubniß des Großherzogs bedarf;
auch Zwangsvollstreckung und selbst ein Konkursverfahren gegen sie ist statthaft. Ihren
persönlichen Gerichtsstand haben sie beim Oberlandesgericht zu Darmstadt, in gleicher
Art, wie der Großherzog selbst; ihr dinglicher Gerichtsstand ist dagegen bei dem gewöhn-
lichen Gericht der belegenen Sache ö). — Ein Strafprozeß wider sie bedarf der großher-
zoglichen Ermächtigung; entscheidendes Gericht ist als einzige Instanz das Plenum des
Oberlandesgerichts zu Darmstadt; das Verfahren ist nicht öffentlich und nur an die einzige
Form gebunden, daß der Angeschuldigte gehört werden muß. — Ihre Vernehmung als
Zeugen erfolgt in ihrer Wohnung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts in Ab-
wesenheit der Prozeßparteien; Eide leisten sie mittels Unterschreibens der Eidesformel.
3. Einen Einfluß auf die Staatsregierung haben die Prinzen als geborene Mit-
glieder der ersten Ständekammer und bei der Regentschaft.
4. An Ehrenrechten kommen die Titel in Betracht. Sie sind für die Großber-
zogin, die Großherzogin-Wittwe und den Erbgroßherzog: „Königliche Hoheit“, für alle
anderen Mitglieder: „Großherzogliche Hoheit“ 5.
5. Vermögensrecht.
a) Das fideikommissarisch gebundene Vermögen des Großherzogs geht selbstverständlich
bei seinem Tode allein auf den Thronfolger über; die anderen Agnaten und die Kognaten
sind ausgeschlossen. Auch durch Testament kann der Großherzog daran nichts ändern.
1) Siehe Testament Ludwig V. von 1625, § 13. Die kaiserliche Bestätigung ist freilich nur
bezüglich des Landesherrn, nicht auch bezüglich der Prinzen ertheilt. Siehe II. Kammer, 4. Landt.
Beil., Bd. 2, Nr. 234, S. 367.
2) Verordn. v. 14. März 1876.
3) Ges. v. 7. Juni 1879, Art. 2—4.
4) Ges. v. 7. Juni 1879, Art. 5—9. "
5) V. v. 15. August 1844. Anfangs führt der Thronfolger den Titel: Groß= u. Erbprinz.
V. v. 19. August 1806.