Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

24 Zweiter Abschnitt. Staat und Staatsverfassung. 3. Der Landtag. §5 11. 
§ 11. C. Rechtliche Stellung der Ständemitglieder. 1. Jedes Mitglied übt 
seinen Beruf nach eigener Ueberzeugung zum Besten des allgemeinen Wohles aus 
und hat dies bei seinem Eintritt in die Ständeversammlung zu beschwören 1). Aus dieser 
Regel der Verfassung folgt, daß jedes Mitglied von Anweisungen seiner Wähler oder 
Vorgesetzten unabhängig ist und daß jedes Mitglied nicht bloß seinen engeren Wahl- 
bezirk, sondern das ganze Land und dessen Wohl vertritt. 
2. Jedes Mitglied kann seinen Beruf nur höchst persönlich ausüben. Für die 
erste Kammer gelten indeß einige Ausnahmen. Siehe oben S. 20 Nr. 3. 
3. Kein Mitglied darf außerhalb seiner Kammer wegen seiner Abstimmung oder 
wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeußerungen zur Verantwortung ge- 
zogen werden 2). Dagegen unterliegt innerhalb der Kammer jedes Mitglied der vom 
Präsidenten geübten Hausordnung. Doch sind die dem Präsidenten zur Wahrung dieser 
Hausordnung gewährten Zwangsmittel ebenso gering wie im Reichstage; er kann ledig- 
lich den Redner auf den Gegenstand der Verhandlung zurückweisen und zur Ordnung 
rufen; ist das eine oder andere in der nämlichen Rede zweimal ohne Erfolg geschehen, 
so kann die Versammlung auf Anfrage des Präsidenten ohne Debatte dem Redner das 
Wort entziehen. Wirkliche Strafen kann weder der Präsident noch die Kammer gegen 
ein Mitglied verhängen. Auch die Ausschließung eines Mitgliedes aus der Kammer ist 
nur in einem Falle statthaft, nämlich, wenn ein Abgeordneter der zweiten Kammer trotz 
zweimaliger Aufforderung nicht auf dem Landtage erscheint, ohne Urlaub erhalten zu 
haben oder sein Ausbleiben entschuldigen zu können 3). 
4. Wegen ihres Verhaltens außerhalb der Kammer sind die Ständemitglieder voll 
verantwortlich. Selbst während der Sitzungsperiode ist der Civilprozeß und sogar — 
anders als im Reiche und in Preußen — der Strafprozeß gegen sie zulässig"). Nur 
bezüglich der Haft sind die Ständemitglieder begünstigt; sie sind während der Dauer 
des Landtages keiner Art von Arrest als mit Einwilligung der Kammer, zu welcher sie 
gehören, unterworfen, den Fall der Ergreifung auf frischer That bei strafbaren Hand- 
lungen ausgenommen. Doch ist diese Begünstigung durch die Reichsprozeßgesetze auf die 
Civilhaft und auf diejenige Haft, welche bei Einleitung oder Fortsetzung einer Straf- 
verfolgung angeordnet wird, beschränkt. Sie gilt also nicht für die Strafhaft, da 
diese nach dem Sprachgebrauch der Reichsgesetze nicht zur Strafverfolgung, sondern zur 
Strafvollstreckung gerechnet wird 5). Die Begünstigung bezieht sich nicht bloß auf die Ver- 
haftung nach Beginn des Landtages, sondern auch auf die Fortsetzung einer schon früher 
angetretenen Haft; doch wird das vor Beginn des Landtags verhaftete Mitglied nicht 
von Amtswegen, sondern nur auf Ersuchen der Kammern aus der Haft zu entlassen sein. 
Für die Civilhaft ist dies ausdrücklich durch CPO. § 786 bestimmt und wird also um 
so mehr für die weit wichtigere Untersuchungshaft gelten. 
5. Ein Ständemitglied darf während der Dauer der Sitzungsperiode, sofern es 
sich am Ort der Versammlung aufhält, nur an diesem Orte als Zeuge vernommen 
werden, es sei denn, daß die Kammer die Vernehmung an einem andern Orte erlaubte 
(CPO. 8 347, StPP. 8§ 49). 
1) Verf. Art. 88. 
2) RStrGB. Art. 11. Die hessische Verfassung ließ wegen Verläumdung die Privatklage zu. 
3) Geschäftsordn. 15, 40, 41, 55. Vor der Gesch. Ordn. von 1874 war nach mehrfachem 
vergeblichem Ordnungsruf die Ausschließung auf Zeit oder für immer statthaft. 
4) Entsch. d. Oberlandesgerichts zu Darmst., Z. 16, 84. 
5) So hat auch das Oberlandesgericht zu Darmstadt Sätber dem Abg. Joest entschieden; 
und in der zweiten Kammer hat ein Antrag, diese Auffassung für vrihtig zu erklären, keine 
Mehrheit gefunden. Verhandl. der II. Kammer des 26. Landtags, Prot. 4, S. 3 ff. 5, S. 75 ff.
	        
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