Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

32 Zuweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. 4. Die Behörden u. ihr Verfahren. 8 15 
§ 15. b. Die Justizbehörden. Die reichsrechtlichen Regeln werden durch eine Reihe 
hessischer Sonderregeln ergänzt 7. 
I. Die Justizverwaltung steht bei der Ministerialsektion für die Justiz. 
Unter der Oberaufsicht dieser Behörde führt die Aufsicht 1) über sämmtliche Gerichte 
der Präsident des Oberlandesgerichts, 2) über die Gerichte jedes Landgerichtsbezirks der 
Landgerichtspräsident, 3) über das Amtsgericht und die Ortsgerichte, Sühnebehörden, 
Gerichtsvollzieher des Amtsgerichtsbezirks einer der Richter des Amtsgerichts, dem das 
Ministerium das Aufsichtsrecht übertragen hat, 4) über die Notare der Landzgerichts- 
präsident und der erste Staatsanwalt in Mainz?), 5) über die Staatsanwälte, Amts- 
anwälte und die gerichtliche Polizei der Oberstaatsanwalt und der erste Staatsanwalt 
des Bezirkes, 6) über die Hypothekenbewahrer der erste Staatsanwalt in Mainz#). Das 
Aussichtsrecht erstreckt sich auf alle bei der Behörde angestellte oder beschäftigte Beamte 
und Gehülfen. Gegenüber nicht richterlichen Beamten gibt das Aufsichtsrecht die Befugniß 
die ordnungswidrige Ausführung eines Amtsgeschäfts zu rügen und die Erledigung eines 
Amtsgeschäfts durch Ordnungsstrafe bis 100 Mk. zu erzwingen. Gegenüber Richtern 
fällt das Rügerecht fort; auch die Erledigung von Amtsgeschäften kann der ausfsichts- 
führende Beamte nur bei Vermeidung disziplinären Einschreitens fordern; bloß die Er- 
stattung von Berichten kann er mittels Ordnungsstrafen bis 100 Mk. erzwingen. Der 
aufsichtführende Amtsrichter besitzt gegenüber den übrigen Amtsrichtern seines Gerichts 
nicht einmal diese Rechte; er kann sie wohl um Auskunft angehen, darf aber keine An- 
drohung damit verbinden. 
II. Gerichtsorganisation. Ein Oberlandesgericht in Darmstadt; für jede 
Provinz ein Landgericht in der Provinzialhauptstadt; Kammern für Handelssachen in 
diesen drei Hauptstädten, in Offenbach, Worms; Amtsgerichte in Starkenburg 18, in 
Oberhessen 20, in Rheinhessen 11 an der Zahl. Sitz und Bezirk der Gerichte wird 
durch Verordnung bestimmt und kann auch, anders als in Preußen, durch Verordnung 
geändert werden. — Das Anmtsgericht in Mainz ist zugleich Rheinschifffahrtsgericht 
erster Instanz (in Strafsachen ohne Schöffen); zweite Instanz ist das Landgericht in Mainz 
bezw. die Centralkommission in Mannheim. Eine Strafgerichtsbarkeit der Polizei mittels 
Erlasses polizeilicher Strafbefehle ist in Hessen nicht eingeführt; alle Straf- 
befehle erläßt vielmehr das Gericht; nur bei Steuervergehen kommen „Berwaltungs- 
strafbefehle“ vor, welche von den Steuerbehörden oder (bei Vergehen, welche sich 
auf Gemeindesteuern beziehen) von den Kreisämtern erlassen werden ?). 
Bei den Landgerichten können (anders als in Preußen) nur ständig angestellte 
Richter als Hülfsrichter berufen werden; die Amtsrichter und Landrichter sind verpflichtet, 
beim Oberlandesgericht, die Amtsrichter beim Landgericht als Hülfsrichter für einzelne 
Sitzungen einzutreten; die Reihenfolge ihres Eintretens wird jährlich im Voraus durch 
die betreffenden Präsidien festgestellt. Ebenso vertreten sich die Amtsrichter desselben 
Gerichts und benachbarter Gerichte gegenseitig; die Reihenfolge bestimmt im Voraus das 
Ministerium. Eine Vertretung von Richtern durch Gerichtsaccessisten ist, anders als in 
Preußen, unstatthaft. 
III. Behörden der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 1. Die ordent- 
lichen Gerichte. Und zwar regelmäßig die Amtsgerichte, z. B. für die Führung der 
Obervormundschaft. In Rheinhessen für einzelne Sachen das Landgericht, z. B. für die 
1) Ges. v. 3. Sept. 1878 die Ausführung des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes betr. 
V. v. 14. Mai 1879. Ges. v. 31. Mai 1879 betr. die Rechtsverhältnisse der Richter. 
2) Ges. v. 11. Juni 1879. 3) V. v. 26. August 1879. 
4) Ges. 20. Sept. 1890. V. v. 25. Juli 1891. Instr. v. 16. Jan. 1892.
	        
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