§ 16. Behörden der allgemeinen Landesverwaltung. 35
frei ernannt, ohne daß — wie in Preußen — eine Präsentation seitens des Kreistages
oder eine Anhörung der Standesherrn in Frage käme. Er ist besoldeter Berufsbeamter
und kann, wie die meisten nicht richterlichen Beamten, beliebig abgesetzt werden. Sein
Gehalt trägt der Staat.
Dem Kreisrath zur Seite stehen als Gehülfen oder Stellvertreter, also ohne be-
schließende Stimme, ein oder mehrere Beamte (Regierungsrath, Kreisamtmann); sie sind,
wie der Kreisrath selbst, besoldete vom Großherzog ernannte, frei absetzbare höhere Staats-
beamte. Beamte, die dem preußischen Kreissekretär (Subalternbeamter mit dem Recht,
den Landrath in gewissem Umfang zu vertreten) oder den preußischen Kreisdeputierten.
(Selbstverwaltungsbeamte mit dem Recht, den Landrath z. B. im Vorsitz des Kreis-
ausschusses zu vertreten) entsprächen, giebt es in Hessen nicht. Das Kreisamt ist also
— ähnlich den Einzelministerien oder der Staatsanwaltschaft — eine mit mehreren
höheren staatlichen frei absetzbaren Berufsbeamten besetzte bureaukratisch (nicht kollegialisch)
organisirte Behörde.
b) Der Kreistag besteht aus 15—24 Mitgliedern, die von den Kreisangehörigen
gewählt werden. Wählbar ist jeder Kreisangehörige, der in der Gemeinde seines Wohn-
sitzes zur Gemeindevertretung wählbar ist, mit Ausnahme der Kreisbeamten. Das aktive
Wahlrecht zum Kreistage ist kein gleiches, wie bei der Landtags= oder Gemeinderaths-
wahl. Doch ist die Abstufung des Wahlrechts einfacher wie in Preußen: es wird nicht
zwischen Städten, Rustikalen und Großgrundbesitzern, sondern nur zwischen den 50 oder
100 2) Höchstbesteuerten einer= und den Gemeinden andererseits unterschieden, indem die
Höchstbesteuerten ½8, die Gemeinden ¾/ der Kreistagsmitglieder wählen.
Die Wahl geschieht auf 6 Jahre; alle drei Jahr scheidet die Hälfte der Mitglieder
aus. Ueber die Gültigkeit der Wahl entscheidet der Kreistag. — Die Gemeinden sind
nach Verhältniß ihrer Bevölkerungszahl zu Wahlbezirken vereinigt, derart, daß in jedem
Bezirk ein Kreistagsmitglied gewählt wird. Jede Gemeinde wird bei der Wahl durch
Bevollmächtigte, welche, und zwar je einer auf 250 Einwohner, von der Gemeinde-
vertretung gewählt werden, vertreten. — Die Höchstbesteuerten üben ihr Wahlrecht in
Person aus; nur juristische Personen, Frauen, Minderjährige müssen, Standesherrn und
Forensen können sich bei der Wahl vertreten lassen. Voraussetzung des Wahlrechts ist,
daß der Wähler oder sein Vertreter 25 Jahr, männlichen Geschlechts und deutscher
Reichsangehöriger ist, dem Kreise durch Wohnsitz, Grundbesitz oder Gewerbebetrieb an-
gehört, sich im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befindet und nicht durch gerichtliche
Anordnung in der Verwaltung seines Vermögens beschränkt ist. Die Höchstbesteuerung
wird nach den Gemeindesteuerkapitalien bemessen.
Die Kreistagsmitglieder sind durchaus unabhängig; weder bedarf ihre Wahl der
Regierungsbestätigung, noch sind sie absetzbar oder einer disziplinären Bestrafung aus-
gesetzt. Ihre Stellung ist ehrenamtlich. Sie erhalten weder Diäten noch Reisekosten.
Der Kreistag wird vom Kreisrath einberufen und geleitet; der Kreisrath hat aber
(anders wie in Preußen) kein Stimmrecht, es sei denn, daß Stimmengleichheit vorhanden
wäre. Mindestens einmal im Jahr ist der Kreistag einzuberufen; auch kann der Kreis-
ausschuß oder ½ der Kreistagsmitglieder die Einberufung jederzeit fordern. Die
Sitzungen sind öffentlich (Art. 33, 38, 35).
c) Der Kreisausschuß besteht aus dem Kreisrath — der hier anders wie
im Kreistage stimmberechtigt ist — und aus 6 gewählten Mitgliedern; Stellvertreter
1) Bek. v. 27. Mai 1893.
2) 100 in Darmstadt, Mainz, Offenbach, Worms, sonst 50.
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