38 Zweiter Abschnitt: Staat u. Staatsverfassung. 4. Die Behörden u. ihr Verfahren. 8 17.
steher des Kreises — statt als Landrath jetzt als Kreisrath bezeichnet — war nicht mehr der Pro-
vinzialregierung, sondern direkt dem Ministerium untergeordnet; nicht mehr eine Provinzialbehörde,
sondern der Kreisrath war jetzt der hauptsächliche Träger der Landesverwaltung. Die Provinzial-
regierungen verschwanden, indem die vormals von ihnen büreaukratisch behandelten Geschäfte auf die
Kreisräthe, die vormals von ihnen kollegial bearbeiteten Sachen auf den neubegründeten Admini-
strativ-Justizhof in Darmstadt übergingen; nur einzelne wenige Provinzialgeschäfte wurden als
solche erhalten und dem Kreisrath der Provinzialhauptstadt als „Provinzialkommissär“ übertragen.
1848 1) wurde zuerst die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Landesverwaltung eingeführt: es
wurde nämlich jedem „Regierungsbezirke“ — die alten Kreise wurden 1848 beseitigt — nicht bloß
eine staatliche Behörde, die für manche Geschäfte büreaukratisch, für manche kollegialisch organisirt
war (Regierungskommission), sondern auch ein von allen Staatsbürgern des Bezirks gewählter Bezirks-
rath übergeordnet. Als 1852 5); die alte Kreiseintheilung mit ihren Kreisräthen wieder hergestellt,
Regierungsbezirk und Regierungskommission abgeschafft wurden, blieb der Bezirksrath trotzdem
bestehen, nur daß 1853 die Wahlordnung zu Gunsten der Höchstbesteuerten geändert wurde ). Das
neueste Recht hat den Bezirksrath in vier verschiedene Organe: Kreis= und Provinzialtag, Kreis-
und Provinzialausschuß aufgelöst und diesen Organen nicht blos die früheren Geschäfte des Bezirks-
raths, sondern auch viele Geschäfte des Kreisraths, des Administrativ-Justizhofs u. s. f. übertragen.
§ 17. d. Die Verwaltungsgerichte. Das grundlegende Gesetz ist die Kreisordnung
Art. 48— 73, 98—113. Dazu kommen die Gesetze über den Verwaltungsgerichtshof
und eine Reihe von Sonderbestimmungen. Schon vor Erlaß der Kreisordnung war
übrigens in Hessen eine besonderer Administrativjustizhof und als übergeordnete Instanz
ein Staatsrath eingesetzt, doch war seine Zuständigkeit auf wenige Arten von Streit-
sachen (Ablösungssachen, Wildschäden u. dgl.) beschränkt.
Für einen großen Theil streitiger Berwaltungssachen und außerdem für einzelne
Streitigkeiten des Privatrechts, welche dem ordentlichen Rechtswege entzogen sind, ist
ein eigenthümliches Verfahren eingeführt, welches das Verwaltungsstreitver-
fahren genannt wird. Im Gegensatz dazu (und zu dem Verfahren des ordentlichen
Rechtswegs) heißt das Verfahren, welches in sonstigen Angelegenheiten des Staats= oder
Verwaltungsrechts einzuhalten ist, das Beschlußverfahren. Die Behörden,
welche im Verwaltungsstreitverfahren zu entscheiden haben, werden als Verwaltungs-
gerichte bezeichnet; im Gegensatze zu ihnen (und zu den ordentlichen Gerichten) heißen
die übrigen staats= und verwaltungsrechtlichen Behörden Beschluß= oder Ver-
waltungsbehörden. Der Zweck, welchen die Trennung des Verwaltungsstreit-
verfahrens vom Beschlußverfahren, die Trennung der Verwaltungsgerichte von den
Beschlußbehörden verfolgt, ist: bei allen denjenigen Sachen, welche dem Verwaltungs-
streitverfahren und den Verwaltungsgerichten überwiesen sind, eine besonders gründliche
und unparteiische Entscheidung zu gewährleisten. In Verfolgung dieses Zwecks hat die
hessische Gesetzgebung zwei Systeme aufgestellt, welche ich als das reine und als das
gemischte Verwaltungsstreitverfahren von einander unterscheide.
I. Reines Verwaltungsstreitver fahren.
1. Die zuständigen Verwaltungsgerichte für dieses Verfahren sind
a) die Kreisausschüsse als erste Instanz;
b) die Provinzialausschüsse als erste oder zweite Instanz;
c) der Verwaltungsgerichtshof zu Darmstadt als letzte Instanz;
d) das Bundesamt für Heimathwesen in Berlin, gleichfalls als letzte Instanz.
Von diesen Behörden ist das Bundesamt für Heimathwesen hier nicht weiter zu
besprechen, weil seine Organisation auf Reichsrecht beruht. Die Organisation der Kreis-
1) Ges. v. 31. Juli 1848.
2) Ges. v. 28. April und Edikt v. 12. Mai 1852.
3) Ges. v. 10. Febr. 1853: 15 Mitglieder, davon 3 durch die Höchstbesteuerten, 12 durch
Bevollmächtigte der Gemeinden gewählt.