§§ 22 u. 23. Staatsdienst. Strafrechtliche und privatrechtliche Folgen der Pflichtverletzung. 47
dem Untergebenen das Recht und die Pflicht zusprechen muß, den Gehorsam zu ver-
weigern: es ist der Fall, wo der Vorgesetzte in schlechtem Glauben handelt, wo er ab-
sichtlich gegen das Gesetz verstößt; denn hierzu ist er schlechterdings niemals zuständig.
Besondere Regeln gelten nach Reichsrecht!1) für die Gerichte und sinngemäß
nach hessischem Recht für die Verwaltungsgerichte: in ihrer Rechtsprechung
sind sie von den Befehlen der vorgesetzten Behörden nur dann abhängig, wenn gegen
ihr Urtheil frist= und formgerecht ein Rechtsmittel eingelegt ist)) Unabhängig ist ferner
die Oberrechnungskammer)).
Eine besondere Stellung nehmen ferner die Minister ein. Sie können ihre
Verantwortlichkeit für gesetzwidrige Handlungen nicht dadurch ablehnen, daß sie sich auf
angebliche Befehle des Regenten berufen. Daraus folgt, daß sie Befehlen des Landesherrn
überhaupt nicht zu gehorchen brauchen ). Ein Gegengewicht gegen diese Unabhängigkeit
der Minister bildet das Recht des Landesherrn, die Minister beliebig zu entlassen.
6. Den Berufsbeamten ist jede Nebenbeschäftigung untersagt, die ihrer amtlichen
Thätigkeit Abbruch thut. Nebenbeschäftigungen, die mit einer fortlaufenden Remune-
ration verbunden sind, dürfen sie nur mit Genehmigung des Ministeriums betreiben;
das Gleiche gilt für den Betrieb von Gewerben, es sei denn, daß diese mit der Land-
wirthschaft in Verbindung stehn; ebenso für den Eintritt in das Gründungscomité, den
Vorstand oder Aufsichtsrath einer Erwerbsgesellschaft ); ebenso für die Uebernahme von
Aemtern in der Orts-, Kreis= und Provinzialgemeinde. —
7. Verträge finanzieller Art dürfen mit Beamten, die dem betreffenden Verwaltungs-
zweige angehören, regelmäßig nicht abgeschlossen werden 5.
§ 22. d. Folgen der Pflichtverletzung. c. Strafrechtliche Folgen. Sie sind durch das
Strafgesetzbuch festgestellt. Die strafrechtliche Verfolgung geschieht im Wege des gewöhn-
lichen Strafprozesses. Doch besteht eine zweifache Besonderheit. Einmal zu Ungunsten der
Beamten: der Großherzog kann die Untersuchung nicht niederschlagen?), während ihm
die spätere Begnadigung unbenommen ist. Zweitens zu Gunsten der Beamten: die Staats-
anwaltschaft oder das Gericht muß, ehe es die Verfolgung einleitet, dem vorgesetzten
Ministerium Anzeige machen, und dieses kann von dem Verwaltungsgerichtshof eine Vor-
entscheidung darüber einfordern, ob der Beamte sich einer Ueberschreitung seiner Amts-
befugnisse oder der Unterlassung einer ihm obliegenden Amtshandlung schuldig gemacht
hat; fällt die Vorentscheidung zu Gunsten des Beamten aus, so ist die Verfolgung ein-
zustellen ); andernfalls ist sie in gewöhnlicher Art fortzusetzen; bis das Ministerium sich
darüber schlüssig gemacht hat, ob es die Vorentscheidung einfordern will und bis der Ver-
waltungsgerichtshof seine Entscheidung abgegeben hat, ist die Verfolgung, unbeschadet
einstweiliger Sicherungsmaßregeln, auszusetzen; der Verwaltungsgerichtshof entscheidet in
der Besetzung von 7 Mitgliedern, von denen die Mehrheit Richter sein müssen?).
§ 23. 8. Privatrechtliche Folgen. Jeder Beamte ist für den Schaden, den er
durch schuldhafte Verletzung seiner Amtspflichten dem Staat oder einem Dritten zufügt,
ersatzpflichtig. Er haftet dabei auch für geringes Verschulden 10); nur Richter haften
wegen ihrer erkennenden Thätigkeit bloß für grobes Verschulden 11). Der Staat haftet,
sofern dem Beamten ein Versehen bei Ausübung eines Hoheitsrechts vorgeworfen wird,
1) Gerichtsverf. Ges. § 1. 2) Siehe oben S. 39. 3) Siehe unten § 44.
4) Siehe unten S. 50. 5) Edikt, Art. 7. Ges. v. 4. Jan. 1875.
6) Ges. v. 14. Mai 1879, Art. 7. 7) Verf. Art. 50.
8) Siehe Entsch. des Verw. Gerichtshofs, Ztsch. 16, S. 161.
9) Edikt v. 12. April 1820, Art. 23, Ges. v. 16. April 1879.
10) OA. Darmstadt in Seuffert's Archiv, Bd. 20, S. 38.
11) OA#. Darmstadt im Archiv f. prakt. Rechtsw., Bd. 9, S. 200.