50 Zweiter Abschnitt: Staat u. Staatsverfassung. 5. Der Staatsdienst. 828.
b) Bei Entfernung aus dem Amt ist die Erhebung einer Anklage nöthig. Diese
geht gegenüber Richtern und Notaren vom Staatsanwalt, sonst von einem anderen
seitens des Ministeriums damit beauftragten Beamten aus; beide Beamte sind aber an
die Weisungen des Ministeriums gebunden, können alfo nur mit dessen Erlaubniß die
Anklage erheben. Das weitere Verfahren ist einem Strafprozeß ähnlich. Doch sind
gewisse Unterschiede gegeben: der Angeschuldigte darf weder vorgeführt noch verhaftet
werden; die Verhandlung kann auch in seiner Abwesenheit stattfinden; er kann sich durch
einen Rechtsanwalt vertreten lassen; Oeffentlichkeit nur auf besonderen Antrag u. s. f.
5. In gewissen Fällen findet noch vor der endgültigen Entscheidung des Disziplinar-
gerichts eine vorläufige Enthebung vom Dienste statt. Sie tritt von Rechtswegen ein,
sobald gegen einen Beamten die Untersuchungshaft oder eine Freiheitsstrafe verhängt
wird. Sonst kann sie ausgesprochen werden:
a) gegen Richter, Notare, Mitglieder der Oberrechnungskammer und des Verwaltungs-
gerichtshofs nur dann, wenn gegen sie wegen eines Verbrechens, Vergehens oder einer
disziplinar strafbaren Handlung das Hauptverfahren eröffnet ist, und nur auf Grund
eines Beschlusses des Disziplinargerichts,
b) gegen alle anderen Beamten schon dann, wenn der Verdacht irgend eines
Disziplinarvergehens vorliegt, und auf Grund eines Beschlusses ihrer Vorgesetzten.
6. Ist wegen des Dienstvergehens öffentliche Klage erhoben, so ruht das Dis-
ziplinarverfahren. Wird der Angeklagte strafrechtlich verurtheilt, so ist trotzdem wegen
derselben Handlung noch eine nachträgliche Disziplinarbestrafung zulässig; ebenso, wenn
er freigesprochen ist, sofern die Handlung unabhängig von dem Thatbestande einer im
Strafgesetze vorgesehenen Handlung ein Dienstvergehen enthält.
7. Jedes Disziplinarverfahren wird beendigt, sobald der Beamte freiwillig auf
Amt, Titel und Ruhegehalt verzichtet und die Kosten übernimmt.
8. Die vorstehenden Regeln finden auch Anwendung
a) gegen Beamte, die bereits in den Ruhestand getreten sind, jedoch nur wegen
einer Handlung aus ihrer Dienstzeit, und mit Ausschluß der Ordnungsstrafen und
natürlich auch der Strafversetzung,
b) gegen widerruflich angestellte Beamte, nur daß die Dienstentlassung von ihrem
Vorgesetzten sormlos verfügt werden kann,
J) gegen Personen, die im Staatsdienst beschäftigt werden, ohne förmlich angestellt
zu sein, z. B. Accessisten, nur daß als Disziplinarstrafen blos Ordnungsstrafen gegen
sie vorkommen!).
§ 25. S. Anklage gegen Minister und Mitglieder der Oberrechnungskammer. 1. Nach
älteren hessischen Gesetzen konnte der Großherzog seine Minister, mochten sie noch im Amt
befindlich sein oder nicht, „wegen gesetzwidriger Handlungen oder Nichterfüllung der
Zusagen des Regenten an die Stände“ in Anklagestand versetzen; wenn beide Kammern
es übereinstimmend beantragten, war er sogar dazu verpflichtet; zuständiges Gericht war
das Oberappellationsgericht). Man könnte aus den Worten „in Anklagestand versetzen“
und aus dem Charakter der zur Entscheidung berufenen Behörde schließen, daß jene
Gesetze lediglich ein besonderes Strafverfahren gegen die Minister einführen wollten ).
Indeß sprechen die Gesetze durchaus nicht von „bestrafen“, sondern davon, daß die „Ver-
antwortlichkeit der Minister geltend zu machen“ sei. Ferner erfolgte nach damaligem
Rechte die Versetzung in den Anklagestand und die Entscheidung der Gerichte nicht blos
1) Disciplinargesetz von 1879, Art. 54 von 1880, Art. 4, 9, 25.
3 Ges. v. 5. Juli 1821, 8. Jan. 1824.
3) So Pistorius, Die Staatsgerichtshöfe u. die Ministerverantwortlichkeit (1891) S.64 ff., 159.