Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

g 34. Die Zwangsenteignung. 59 
und zulässig, nicht auch ob sie zweckmäßig gewesen ist. Regelmäßig soll, solange der 
Rekurs schwebt, die Ausführung der Zwangsmaßregel unterbleiben; anders nur dann, 
wenn nach dem Ermessen des Kreisraths oder Bürgermeisters die Verzögerung des 
Zwangsverfahrens dem Gemeinwesen nachtheilig sein würde. Als Rekursinstanz gegen- 
über Zwangsmaßregeln des Kreisraths dient der Provinzialausschuß in erster, das 
Ministerium des Innern und der Justiz in zweiter Instanz. Gegenüber Maßregeln 
des Bürgermeisters ist als Rekursinstanz der Kreisausschuß bezeichnet; als zweite und 
dritte Instanz werden — obschon das Gesetz dies nicht sagt — Provinzialausschuß und 
Ministerium zuständig sein ½). 
c) Das Gericht hat die Gültigkeit der Zwangsverfügung nicht zu prüfen, auch wenn 
es mit der Festsetzung einer durch die Verfügung angedrohten Strafe befaßt wird. Viel- 
mehr wird die Gültigkeitsfrage in dem Rekursverfahren zu b) endgültig erledigt. 
24) Die Kosten des Zwangsverfahrens setzt der Kreisrath bezw. Bürgermeister fest. 
Hierwider binnen 10 Tagen Rekurs an den Provinzial= bezw. Kreisausschuß als letzte 
Instanz. Beitreibung der Kosten im Verwaltungszwangverfahren zu 1. 
3. a) Kreisrath und Provinzialdirektor haben die Befugniß, diejenigen, welche die 
Ordnung einer in ihrer Gegenwart stattfindenden Handlung stören, mit Geldstrafe bis 
zu 36 Mk. und Haftstrafe bis zu 24 Stunden zu belegen. Sie können ferner gegen 
Personen, welche in schriftlichen Eingaben an die Kreis= oder Provinzialorgane durch 
Ausfälle gegen Behörden oder Privatpersonen den Anstand verletzen, Ordnungsstrafen 
bis zu 9 Mk. verhängen 2). Ein ähnliches Ordnungsstrafrecht hat der Präsident des 
Verwaltungsgerichtshofs ). 
b) Anderen Behörden fehlt diese Befugniß. Sie können also Personen, die sich 
ungebührlich betragen, nur ausweisen und Eingaben unanständiger Art ohne sachlichen 
Bescheid zurückgeben. 
4. Die vorstehend dargestellten Regeln erschöpfen die Zwangsbefugnisse der Be- 
hörden nicht. Vielmehr hat jede Behörde, welche überhaupt zur zwangsweisen Durch- 
führung ihrer Anordnungen befugt ist. — und diese Befugniß steht jeder Exekutivbehörde 
zu —, das Recht, im Nothfalle ihre Anordnungen auch durch Anwendung unmittelbaren 
persönlichen Zwanges durchzusetzen"!). So kann jeder Forstbeamte dem im Forst er- 
tappten Wilddiebe das gestohlene Wild gewaltsam abnehmen, jeder ländliche Bürger- 
meister kann einen gemeingefährlichen Geisteskranken verhaften u. s. f. 
§ 34. Fortsetzung. Die Zwangsenteignung 5). Eine besondere Art des Verwaltungs- 
zwangsverfahrens ist die Zwangsenteignung. 
1. Das Grundeigenthum — und ebenso ein Recht an fremdem Grund und Boden 
— kann dem Berechtigten nur dann entzogen oder beschränkt werden, wenn es für ein 
dem öffentlichen Nutzen dienendes Unternehmen nöthig ist. Ist diese Voraussetzung 
erfüllt, worüber die unten zu nennenden Behörden im Laufe des Enteignungsverfahrens 
entscheiden, so haben der Staat und die Gemeindeverbände das Enteignungsrecht 
ohne Weiteres; andern Unternehmern muß dagegen das Recht erst besonders ver- 
liehen werden, und zwar dem Reiche, andern deutschen Staaten und privaten Eisenbahn- 
unternehmern durch großherzogliche Verordnung, den übrigen Unternehmern durch Gesetz. 
1) Nach Analogie von KO. 48, III, Nr. 4, und 67, Abs. 2. 
2) KO., Art. 81, 117. 3) Ges. v. 11. Jan. 1875, Art. 15. 
4) Dies erkennt z. B. für ländliche Bürgermeister an Entsch. d. Verw.G., Z. 5, S. 50. 
5) Ges. vom 26. Juli 1884. Dazu Kommentar von Arnold. Das vor diesem Gesetz in 
Geltung gewesene Gesetz vom 27. Mai 1821 ist um deßhalb wichtig, weil es das erste umfassende 
Enteignungsgesetz in Deutschland gewesen ist.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.