Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.4. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (4)

66 Vierter Abschnitt: Das Finanzwesen. 2. Staatseinnahmen. 8 40. 
Steuerpflichtigen ungünstig beeinflussen (Kränklichkeit, großer Hausstand u. dgl.), der 
Steuerpflichtige um eine Klasse herabgesetzt werden kann ). 
4. Der Einschätzung ist das wirkliche Einkommen des letzten Jahres zu Grunde 
zu legen. Bei Einkommen von schwankender Höhe (aus Gewerbebetrieb, Aktienbesitz 
u. dgl.) ist der Durchschnitt der letzten drei Jahre maßgebend. Steuerpflichtig ist nur 
das reine Einkommen: es sind also die Ausgaben, welche zum Erwerbe und zur Erhal- 
tung des Einkommens dienen, die Zinsen erweislicher Schulden, die Kapitalrenten-, Ge- 
werbe= und Grundsteuer u. s. f. abzuziehen; ebenso — um eine Doppelbesteuerung zu 
vermeiden — die Zinsen und Diovidenden hessischer Aktienvereine. Dagegen wird für 
den Unterhalt des Steuerpflichtigen und seiner nicht selbständig besteuerten Familien- 
genossen kein Abzug gemacht; ebensowenig für Meliorationen, Schuldabtragungen, Kapital- 
anlagen u. dgl. 
5. a) Die Einschätzung zur ersten Abtheilung geschieht für jedes Steuerkommis- 
sariat bezw. für jede größere Stadt durch eine Einschätzungskommission; 
sie besteht aus dem Steuerkommissär als Vorsitzendem sowie aus Personen, welche der 
Kreistag (bezw. in den größeren Städten der Gemeindevorstand) auf je drei Jahre wählt. 
Die gewählten Mitglieder müssen in dem betreffenden Einschätzungsbezirk wohnen, ein 
Einkommen von mehr als 2600 Mark beziehen und das hessische Staatsbürgerrecht be- 
sitzen; höchstens der dritte Theil derselben darf dem wählenden Kreistage bezw. Gemeinde- 
vorstande angehören. Kein Mitglied darf bei der Feststellung des eigenen Steuerkapitals 
mitwirken. 
Gegen die Beschlüsse der Einschätzungskommission kann sowohl der Steuerpflichtige, 
wie der Vorsitzende binnen zwei Monaten bei der Einschätzungskommission selbst und 
gegen deren erneuten Beschluß bei der Landeskommission reklamiren. Diese 
besteht aus einem Kommissär des Finanzministeriums als Vorsitzendem und aus je drei 
von den drei Provinzialausschüssen gewählten Mitgliedern der Einschätzungskommissionen, 
ist also besonders geeignet, willkürliche Unterschiede in dem Einschätzungsverfahren der 
einzelnen Einschätzungskommissionen zu beseitigen. Der Entscheid der Landeskommission 
ist endgültig; nur wegen ihres Verfahrens, z. B. der Einforderung eidesstattlicher An- 
gaben, ist der Rekurs an das Finanzministerium zugelassen. 
b) Die Einschätzung zur zweiten Abtheilung erfolgt gemeindeweise durch eine 
„örtliche Kommission“, welche aus dem Steuerkommissär, dem Bürgermeister und weiteren 
vom Gemeindevorstande gewählten Mitgliedern besteht. Gegen deren Beschlüsse kann der 
Steuerkommissär sowohl wie der Steuerpflichtige binnen zwei Monaten bei der für die 
erste Abtheilung gebildeten Einschätzungskommission reklamiren. Gegen deren Entscheid 
binnen vier Wochen Rekurs an das Finanzministerium, Abtheilung für Steuerwesen. 
6. Die Einschätzungskommissionen sind verpflichtet, das wirkliche Einkommen aller 
Steuerpflichtigen festzustellen, soweit dies ohne lästiges Eindringen in die Vermögens- 
verhältnisse der Steuerpflichtigen möglich ist, und alle Behörden, namentlich die der frei- 
willigen Gerichtsbarkeit und die Bürgermeister sollen ihnen jede zweckdienliche Auskunft 
geben; auch die Haushaltungsvorstände sind zur Auskunft über das Einkommen ihrer 
Hausgenossen verpflichtet. Wenn der Steuerpflichtige reklamirt, kann die Landeskommission 
sogar die Gerichte um eidliche Vernehmung von Zeugen ersuchen. 
Dagegen brauchen die Steuerpflichtigen — mit einziger Ausnahme der Aktien- 
vereine — über ihr eigenes Einkommen keine Auskunft zu geben: es besteht für die 
1) Der Steuerausschlag betrug 1891/92 16% des Steuerkapitals, also in der ersten Ab- 
theilung 1,6—2,56% in der zweiten Abtheilung 0,96—1,6% des steuerpflichtigen Einkommens.
	        
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