78 Vierter Abschnitt: Das Finanzwesen. 3. Budgetrecht. 8 43.
Rechtlich nicht: denn die Regierung ist eben durch die Verfassung auf die von den
Ständen bewilligten Ausgaben nicht beschränkt. Thatsächlich nicht: denn die Regierung
kann sich die erforderlichen Geldmittel sehr wohl beschaffen, sei es aus den Ueberschüssen,
welche einzelne der von den Ständen bewilligten Einnahmen über den Voranschlag er—
bringen, sei es dadurch, daß sie anderweite Ausgaben, welche die Stände für nöthig
gehalten und deßhalb bei der Einnahmenbewilligung mitberücksichtigt haben, einfach
unterläßt. Dies können auch die Stände nicht etwa dadurch verhindern, daß sie die
Einnahmen ausdrücklich nur unter der Bedingung bewilligen, daß sie bloß für bestimmte
Ausgaben verwendet werden. Denn der bereits oben erwähnte Art. 68 der Verfassung
verbietet ausdrücklich, daß die Bewilligung „an die Bedingung der Erfüllung bestimmter
Desiderien geknüpft“ werde, und da unmittelbar auf das Verbot eine Bestimmung über
die Staatsausgaben folgt, müssen die verbotenen „Desiderien“ sicher auch auf die Staats-
ausgaben bezogen werden 1). Auch wäre das fernere Verbot, die Civilliste eines Groß-
herzogs ohne Zustimmung der Stände zu erhöhen (Verf. Art. 70), gänzlich überflüssig,
wenn auch die übrigen Staatsausgaben nur mit ständischer Bewilligung erhöht werden
dürften. Zu dem nämlichen Ergebniß führt der Hinweis auf die bayerische Verfassung,
welche der hessischen in den finanzrechtlichen Fragen Wort für Wort als Vorbild ge-
dient hat; denn dort ist es klar ausgesprochen, daß die Stände die Einnahmen zu
bewilligen, die Ausgaben bloß zu berathen haben. Dem gegenüber ist es
freilich auffallend, daß die Regierung sich in sämmtlichen Finanzgesetzen ), die seit Erlaß
der Verfassung ergangen sind, auch die Ausgaben hat bewilligen lassen, und man
könnte aus einer derartigen nun siebzigjährigen Uebung leicht ein die Verfassung ab-
änderndes Gewohnheitsrecht ableiten. Indeß hat die Regierung die Ausgabenbewilligung
der Stände niemals als eine Schranke für sich anerkannt; immer wieder heißt es in
Landtagsabschieden, daß die Regierung diese oder jene Ausgabe, obschon sie von den
Ständen gestrichen sei, nicht unterlassen werde; 1827 und 1830 wird es ausdrücklich
abgelehnt, daß die Regierung an die einzelnen im Hauptvoranschlage verzeichneten Aus-
gabenbewilligungen gebunden sei, sondern nur die Ausgabenbewilligung im Ganzen wird
als bindend anerkannt; manchmal wird der Regierung bei der Verfügung über die Ein-
nahmenüberschüsse ganz freie Hand gelassen; seit 1836 endlich erklärt die Regierung eine
Ausgabenbewilligung innerhalb des fixen Etats 3) für unnöthig. Man sieht also, daß ein
wirkliches bindendes Recht der Stände auf Ausgabebewilligung in der Praxis nicht vor-
handen ist. Erst das Gesetz von 1879 hat hierin Wandel geschaffen. Aber doch unter
der Voraussetzung, daß ein Finanzgesetz zu Stande komme. Ist dies nicht der Fall, so
tritt auch jetzt noch der rein verfassungsmäßige Zustand in Kraft"); die Regierung be-
stimmt die Ausgaben frei. Eine andere Frage ist natürlich, ob die Regierung darauf
Werth legen wird, daß sie während der kurzen Zwischenzeit, in der es einmal an einem
Finanzgesetz fehlt, wegen der Ausgaben freie Hand hat. Bis jetzt hat sie es nicht
1) Nicht entgegensteht Verf. Art. 69, wo von Auflagen die Rede ist, die bloß für einen
vorübergehenden Zweck bestimmt sind. Denn daß mit Einwilligung der Regierung
eine derart beschränkte Bewilligung statthaft ist, ist natürlich nicht zweifelhaft. Ebensowenig
steht Verf. Art. 68 entgegen, wonach den Ständen eine genügende Auskunft über die Verwendung
früher verwilligter Summen zu geben ist; denn hier ist keineswegs gesagt, daß nur solche Auskunft
„genügt“, die sich auf bewilligte Ausgaben bezieht.
2) Im Entwurf zum ersten Finanzgesetz (1821) ist nur von „Voranschlägen“ der Staats-
bedürfnisse die Rede. Erst die zweite Kammer hat dafür ein „Bewilligen“ gesetzt, übrigens ohne
Debatte, sodaß über die Tragweite der Aenderung nichts feststeht.
3) Siehe unten zu 4.
4) Aehnlich wie in Fragen des Militär-Hoheitsrechts des Einzelstaats die Reichsverfassung
durch die Militär-Konventionen außer Anwendung gesetzt ist, aber sofort wieder in Kraft tritt,
insoweit die Konventionen gekündigt werden.