84 Fünfter Abschnitt: Gemeinden und Gemeindeverfassung. 1. Die Ortsgemeinden. 8 48.
5. Das Amt der Stadtverordneten ist ein Ehrenamt. Sie erhalten also keinerlei
Besoldung. Dagegen können sie jedem privaten Berufe nachgehen und auch andere
Aemter bekleiden, ausgenommen besoldete Gemeindeämter und diejenigen Aemter, die ihrem
Inhaber das passive Wahlrecht nehmen.
6. Die Stadtverordneten sind durchaus unabhängig. Sowenig wie ihre Wahl der
Bestätigung seitens der Regierung bedarf, sowenig sind sie von der Regierung absetzbar.
Auch von ihren Wählern sind sie durchaus unabhängig, an ihre Anweisungen nicht
gebunden.
Selbst ein Disziplinarverfahren ist gegen sie von Gesetzeswegen nicht vorgesehen.
Doch kann die Stadtverordnetenversammlung eine Geschäftsordnung erlassen, nach welcher
sie gegen solche Mitglieder, die sich eine Ordnungswidrigkeit zu Schulden kommen
lassen, Geldstrafen bis 18 Mark und im Wiederholungsfall sogar Ausschließung aus der
Versammlung (längstens auf die Dauer einer Wahlperiode) verhängen darf. — Stadt-
verordnete, welche sich andauernd an den Verhandlungen nicht betheiligen, sind so zu be-
handeln, als ob sie die Wahl ablehnten (Art. 36. 46. 112). — Außerdem kann gegen
die Stadtverordnetenversammlung im Ganzen disziplinarisch vorgegangen werden, wenn
sie auf Beschlüssen beharrt, die von der Aufsichtsbehörde als ungesetzlich aufgehoben sind,
oder wenn sie sich fortgesetzt der Ausübung ihrer Amtsthätigkeit entzieht; sie kann als-
dann nach Anhörung des Provinzialausschusses vom Ministerium des Innern und der
Justiz aufgelöst werden; binnen 4 Wochen muß in diesem Falle die Neuwahl der ganzen
Versammlung angeordnet werden (Art. 123. 12.)
Die Abgeordnetenprivilegien, z. B. die Freiheit von strafrechtlicher Verantwort-
lichkeit für alle in Ausübung des Berufs gethanen Aeußerungen stehen dem Stadtverord-
neten nicht zu.
7. Die Amtsstellung des Stadtverordneten erlischt mit Ablauf der Wahlperiode
oder wenn er auf seine Stellung verzichtet — der Verzicht mag nach Städteordnung 112
unerlaubt sein, ist aber nicht ungültig — oder wenn er die Wählbarkeit verliert .
8. Die Stadtverordnetenversammlung ist beschlußfähig nur, wenn mehr als die
Hälfte der Mitglieder anwesend ist, oder wenn die Mitglieder zum zweiten Mal zur Ver-
handlung über denselben Gegenstand zusammenberufen und bei der Berufung auf diesen
Umstand ausdrücklich hingewiesen sind. Sie faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit.
Kein Mitglied darf in eigener Angelegenheit an der Berathung oder Abstimmung theil-
nehmen; kann wegen dieser Ausschließung eine beschlußfähige Versammlung nicht ge-
halten werden, so hat der Kreisausschuß die nöthige Ergänzung aus den wählbaren an
der Sache nicht betheiligten Einwohnern vorzunehmen; die Verhandlung ist regelmäßig
öffentlich.
II. Der Bürgermeister?). 1. Er wird von der Stadt gewählt. Und zwar
ist die Wahl eine mittelbare: nicht die ganze Einwohnerschaft, sondern die Stadtver-
ordnetenversammlung hat die Wahl vorzunehmen. Wird bei der Wahl keine absolute
Stimmenmehrheit erzielt, so entscheidet die Stichwahl zwischen den beiden höchstbestimmten
Personen. Die Wahl bedarf der Bestätigung seitens des Großherzogs; wird die Be-
stätigung der Wahl zweimal versagt, so kann das Ministerium des Innern und der
Justiz die Stelle auf Kosten der Stadt kommissarisch verwalten lassen, bis eine neue
Wahl die Bestätigung erlangt.
2. Die Wahl geschieht auf 12 Jahre; eine Wiederwahl kann auch auf Lebenszeit
erfolgen.
1) St O. 113. 2) St O. 29—35, 58—66.