Das Fürstenhaus. 95
mit einem Hange zum Eigensinn. Er spricht deutlich und bestimmt, aber
mit scharfer Fistelstimme. Seine Kleidung wie sein Gesicht scheinen anzu-
zeigen, daß er fromm und freundlich, aber arbeitsam und unversöhnlich
(active et implacable) ist. Wie wenig anmutvoll er auch auf diese Weise
erscheinen mag, so ist er doch ein in sehr vieler Hinsicht achtungs- und
ehrenwerter Fürst. Seit 1763 haben sein aufrichtiger Wille, das Gute zu
thun, seine wunderbare Sparsamkeit, seine unermüdliche Arbeitskraft, seine
Bedürfnislosigkeit, seine Ausdauer niemals versagt. Langsam, aber nicht
unentschlossen, peinlich in der Arbeit, aber einsichtsvoll, weniger dazu aus-
gestattet, sogleich auf den ersten Blick das Richtige zu erfassen, aber dafür
zum Nachdenken geneigt, hat er beine Schwäche als die Frömmigkeit; aber
auch diese treibt er nicht so weit, daß er sich darüber seiner Rechte begäbe
oder seine Hflichten vernachläsfigte.!) Einen Schritt darüber hinaus, und er
würde ein Erömmler sein; thäte er weniger, würde er nicht mehr fromm
sein. Er ist sehr besorgt, daß sein Beichtvater Herz keinen Einfluß ge-
winne, wäre es nur bei Besetzung einer Kammerdienerstelle. Der Kurfürst
vertritt seine Diener gegen jedermann mit einer seltenen Festigkeit. Mit
einem Worte, dieses Land würde ohne ihn verloren sein, und wenn er das
Glück hat, den Frieden dauern zu sehen, wird er es sehr blühend machen.%
Dies Urteil, welches am Anfange seiner 6jährigen Re-
gierung gefällt ward, ist durch diese bestätigt worden. Wir
müssen, abgesehen davon, daß wir wärmer von ihm reden als
es der französische Staatsmann gethan hat, doch im ganzen
zugestehen, daß er mit scharfem Blicke sein Wesen erkannt hat.
Auch der preußische Gesandte Lucchesini, der zu ihm in einem
politischen Gegensatze stand, wie er schärfer kaum gedacht
werden kann, bestätigt seine unerschütterliche Legalität.
*) Bei seinen Zeamten hatte dies zur Folge, daß sie zwar hinsichtlich
der unbestechlichen Treue den preußischen gleich standen, aber ein etwas
umständliches Verfahren liebten, welches der preußische Gesandte von Götzen
einmal als „sächsische Timidität und gewohnte Langsamkeit und Formalität“
bezeichnet.