100 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4.
durch Art. 4 Ziff. 13 gedeckt ansehen. Denn die gesetzliche Regelung von
staatsrechtlichen Verhältnissen der Einzelstaaten fällt weder unter das bürger-
liche Recht noch unter das Strafrecht noch unter das gerichtliche Verfahren.
3. Freie Vereinbarungen der Verbündeten Regierungen.
Es steht nichts entgegen, daß die Regierungen der Einzelstaaten auch
über solche Angelegenheiten, die nicht zur Kompetenz des Reichs gehören,
Vereinbarungen treffen, durch die sie sich gegenseitig zu einer gleichartigen
Behandlung der betreffenden Angelegenheit verpflichten, und zwar kann es
sich dabei um Angelegenheiten handeln, für die das Reich überhaupt nicht
zuständig ist, wie um Angelegenheiten, die nach der Reichsverfassung zwar
zur Kompetenz des Reichs gehören, bezüglich deren aber das Reich von
seiner Befugnis zur gesetzlichen Regelung noch keinen Gebrauch gemacht hat.
Eine Moajorisierung darf natürlich bei einer derartigen Regelung im Bundes-
rate nicht stattfinden, und soweit nach dem Staatsrecht der Einzelstaaten
das fragliche Gebiet nur auf gesetzlichem Wege geregelt werden darf, find
die Parlamente der Einzelstaaten durch die im Bundesrate getroffene Ver-
einbarung ihrerseits nicht verpflichtet. Nur die Regierungen sind natürlich
gebunden, gegenüber ihren Landtagen keinen anderen Standpunkt einzunehmen,
als denjenigen, für den sie sich im Bundesrate verpflichtet haben. Handelt
es sich aber um Angelegenheiten, die nach dem Staatsrecht der Einzelstaaten
einer gesetzlichen Regelung nicht bedürfen, sondern im Wege der Verordnung
geregelt werden können, so steht der Ausführung der im Bundesrate ge-
troffenen Vereinbarung nichts im Wege. Eine derartige Vereinbarung hat
z. B. für den im Strafgesetzbuch und in der Strafprozeßordnung nur bruch-
stückweise geordneten Strafvollzug einschließlich der Kriminalstatistik statt-
gefunden. Über die verfassungsmäßige Zulässigkeit dieser Vereinbarung hat
der Staatssekretär des Reichsjustizamts Nieberding sich in den Reichstags-
fitzungen v. 8. Febr. 1902 St. B. 4024 D und v. 5. März 1908 St. B. 8402 D
näher geäußert. Nach den Ausführungen des Staatssekretärs liegt in der
auf Vereinbarung beruhenden übereinstimmenden Regelung des Strafvoll-
zugs ein treffendes Beispiel dafür, wie sehr am Platze eine derartige Ver-
einbarung ist, wenn übereinstimmende Grundsätze ein Bedürfnis sind, aber
die alsbaldige reichsgesetzliche Regelung nicht möglich ist wegen des Zu-
sammenhanges mit anderen Gebieten, deren baldige gesetzliche Regelung noch
nicht reif ist. Ahnlich hat sich der Staatssekretär des Innern Graf v. Posa-
dowsky-Wehner in der Reichstagssitzung v. 20. Febr. 1903 St. B. 8085 B
über die damals für eine polizeiliche Regelung des Automobilverkehrs be-
absichtigt gewesene Vereinbarung geäußert.
II. Das Aufsichtsrecht des Reichs.
1. Ziel und Inhalt des Ausfsichtsrechts.
Nach Art. 4 unterliegen die dort genannten Angelegenheiten nicht nur
der Gesetzgebung, sondern auch der Beauffichtigung des Reichs. Man hat
sich also nicht mit dem Versprechen begnügt, daß das Reich für die dort
bezeichneten Angelegenheiten im Wege der Gesetzgebung oder Verordnung
allgemeine Grundsätze aufstellen werde, sondern es ist vorgesehen, daß für
diese Angelegenheiten die Beobachtung der reichsgesetzlichen Vorschriften von