198 III. Bundesrat. Art. 6.
und des neuen Reichs vorlagen, aber er ist einzig in seiner Art und hat
in der Form, in der er jetzt besteht, und in der Ausstattung mit den-
jenigen Machtvollkommenheiten, die ihm verfassungsmäßig innewohnen,
weder in der früheren Geschichte des Deutschen Reichs oder des alten
Deutschen Bundes noch in den Einrichtungen des Auslands ein Vorbild.
3. Der Bundesrat verwaltet Souveränetätsrechte in den Grenzen, in
welchen den vom Bundesrat vertretenen Verbündeten Regierungen
die Souveränetät im Reiche zusteht, d. h. soweit nicht der Kaiser die
höchste Gewalt im Reiche ausübt. Eine Abhängigkeit vom Kaiser
oder einem anderen Reichsorgan besteht für den Bundesrat nicht;
wenn der Bundesrat im Gebiete der Exekutive überhaupt zuständig
ist, so bildet er in diesen Angelegenheiten auch die höchste Instanz
und ist dem Reiche gegenüber unabhängig; die einzelnen Bundesrats-
bevollmächtigten find natürlich von ihrer Landesregierung abhängig.
4. Der Bundesrat ist eine gesetzgebende Körperschaft des Reichs, unter-
scheidet sich aber von einem Parlament dadurch, daß die Mitglieder
nicht nach ihrer persönlichen überzeugung, sondern nach der ihnen
erteilten Anweisung stimmen; auch hat der Bundesrat im Gegensatz
zu einem Parlament eine sehr umfangreiche Verwaltungstätigkeit.
5. Dem Bundesrat fällt zwar in seinem die Gesetzgebung umfassenden
Wirkungskreise die politische Aufgabe zu, ein Gegengewicht zu dem
aus allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahl hervorgegange-
nen Reichstag zu bilden, aber er ist kein Oberhaus, denn er vertritt
die Regierung selbst und nicht wie das Oberhaus Gesellschaftsklassen,
die, wenngleich sie durch soziale Stellung, Bildung und Besitz be-
vorzugt sind, einen Teil des Volkes bilden, weil sie der Krone als
Untertanen gegenüber stehen.
6. In dem Bundesrat kommen zwar die berechtigten Sonderinteressen
der Einzelstaaten vorzugsweise zum Ausdruck, aber der Bundesrat ist
kein Staatenhaus, denn er vertritt in seiner Gesamtheit nicht die
Einzelstaaten gegenüber dem Reich, sondern das Reich selbst.
7. Die Bundesratsbevollmächtigten sind — wenn auch nicht durchweg
dem Rang und Titel, so doch der Sache nach — Gesandte der Einzel-
staaten, aber der Bundesrat in seiner Gesamtheit ist nicht bloß ein
Gesandtenkongreß, wie die Bundesversammlung des alten Deutschen
Bundes, sondern ein gesetzgebendes und verwaltendes Organ des Reichs.
8. Der Bundesrat ist in Anbetracht seiner Unabhängigkeit kein Reichs-
ministerium, aber seine Kompetenz erstreckt sich — außer seiner Mit-
wirkung bei der Gesetzgebung — auf eine Reihe von Verwaltungs-
geschäften, und er verfieht diese Geschäfte nur als letzte Instanz. Sein
Geschäftskreis deckt sich teilweise mit dem eines Reichsministeriums.
II. Der Bundesrat als politischer Machtfaktor.
Für das politische Gewicht des Bundesrats sind zwei Momente wesent-
lich, einmal, daß er nicht eine von einem einzigen Monarchen abhängige
Behörde darstellt, wie ein Staatsministerium, und ferner, daß er nicht nur
die persönlichen Ansichten weniger Personen zum Ausdruck bringt, wie ein
Oberhaus, sondern daß er, weil nach Instruktionen gestimmt wird, über