Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XII. Reichsfinanzen. Art. 69. 629 
Untertanen in Frage gestellt sein, wenn aus der Versagung der Ausgaben 
Konsequenzen für die Einrichtung der Armee gezogen würden. In parla- 
mentarisch regierten Ländern ist aus den beiden Sätzen, daß der Staat für 
seine und seiner Untertanen Existenzmöglichkeit der Gelderbewilligung bedarf 
und daß die Geldbewilligung nicht ohne den Willen der Volksvertretung 
geschehen kann, der Schluß gezogen worden, daß damit die Volksvertretung 
die einzige Quelle der Macht geworden ist, und dies ist für den Fall zuzugeben, 
daß die Regierung — rechtlich oder tatsächlich — von der Volksvertretung so 
abhängig ist und die verantwortlichen Minister mit der Mehrheit des Parla- 
ments in so enger Verbindung stehen, daß auf eine dauernde Uneinigkeit 
in erheblichen Punkten nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge nicht zu 
rechnen ist. Wo dies, wie in Deutschland, nicht der Fall ist, fehlt es an 
der ersten Voraussetzung für den gezogenen Schluß. Ohne den Willen der 
Verbündeten Regierungen kann ebenfalls keine Ausgabe bewilligt werden 
und der Etat nicht zustande kommen, und man könnte deshalb aus den 
gleichen Gründen den Verbündeten Regierungen das gleiche Maß von Macht 
vindizieren, denn das Chaos zu vermeiden, das entstehen würde, wenn aus 
der Budgetverweigerung die Konsequenz der Suspension der ganzen Reichs- 
verwaltung gezogen würde, hat die Volksvertretung kein geringeres Interesse 
als die Verbündeten Regierungen. Die Stellung des Art. 69 im XlI. Ab- 
schnitt der Verfassung und seine Entstehungsgeschichte weisen vielmehr darauf 
hin, daß es sich bei der Feststellung des Etats im Sinne der Verfassung 
um nichts anderes handeln soll als um eine rein sachliche, finanztechnische 
Prüfung der einzelnen Etatsansätze; vgl. insbesondere die Ausführungen des 
Abg. v. Gerber in der Sitzung des konst. Reichstags v. 9. April 1867 St.B. 
654, des Abg. Twesten in der Sitzung v. 6. April 1867 St.B. 602 und 
des Abg. Scherer in der Sitzung v. 8. April 1867 St. B. 621. Die von 
dem Abg. v. Gerber damals gegen eine mögliche Überspannung des Budgets- 
rechts vorgeschlagene Sicherungsmaßregel, für die wichtigsten Institutionen 
des Reichs ein für alle Male oder wenigstens für längere Zeit den etats- 
mäßigen Aufwand gesetzlich festzulegen, wie es für das Militärwesen in 
der Tat bis zum Jahre 1874 geschehen ist, hat den Nachteil, daß die 
Volksvertretung für die betreffenden Gebiete der Staatstätigkeit desinteressiert 
wird, weil sie von der Verwaltung ausgeschaltet ist; dies wäre für die 
konstitutionellen Grundlagen des Staates nicht gut, und andererseits kann 
sich die Festlegung nur auf das Ordinarium beziehen, denn die Bedürfnisse 
des Extraordinariums können für längere Zeiträume unmöglich vorausgesehen 
werden; da die Grenzen zwischen Ordinarium und Extraordinarium kaum 
mit Sicherheit festzustellen sind, so ist zu besorgen, daß in solchen Fällen 
alle Streitigkeiten auf dem Gebiete des Extraordinariums ausgetragen werden 
würden; vgl. die Ausführungen des Abg. Gneist in der Reichstagssitzung 
v. 8. April 1867 St. B. 630. Die Lösung kann nur darin gefunden werden, 
daß das Budget überhaupt nicht als Ganzes betrachtet wird, sondern daß jede 
einzelne Position unter rein sachlichen Gesichtspunkten einerseits mit Rückficht 
auf ihre Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit, andererseits mitbezug auf ihre 
Rückwirkung auf die gesamte Finanzlage des Reichs geprüft wird. Dann 
stellt sich das Budgetrecht nicht als eine politische Waffe, sondern als eine 
einfache Kontrollmaßregel der Verwaltungstätigkeit und Finanzwirtschaft des 
Reichs dar. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Budgetrecht noch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.