XII. Reichsfinanzen. Art. 72. 659
ist ihre Verausgabung oder ihre Ersparnis, und in Einnahmen, Ausgaben
und Ersparnissen erschöpft sich die gesamte Ausführung des Etats. Dem
Rechnungshof ist nach § 1 des Kontrollges. v. 4. Juli 1868 Überwiesen:
die Kontrolle des gesamten Reichshaushalts durch Prüfung und Feststellung
der Rechnungen über Einnahmen und Ausgaben von Reichsgeldern, über
Zugang und Abgang von Reichseigentum und über die Verwaltung der
Reichsschulden. Durch das preuß. Gesetz von 1872 ist dies näher aus-
geführt und die Befugnisse des Rechnungshofs sind dort im einzelnen
dargestellt.
Durch dieses Gesetz ist an dem in Preußen der Krone zustehenden
Recht zu sogen. justifizierenden Kabinettsordres nichts geändert, da diese
Befugnis sich nicht auf die durch positive Vorschriften der Gesetzgebung be-
stimmten Einnahmen und Ausgaben bezieht, sondern auf den gnadenweisen
Erlaß von Einnahmen, der in das Gebiet der diskretionären Verwaltungs-
befugnisse fällt. In Preußen übt der König von jeher das Recht aus, teils
unmittelbar, teils durch die von ihm ermächtigten Behörden über einzelne
Einnahmen des Staates zu verfügen (z. B. Erlaß von Steuern, Rück-
erstattung von überhobenen Pensionen), ferner kontraktliche Rechte aufzugeben
oder kontraktliche Bestimmungen zum Vorteile von Privatpersonen abzu-
ändern, endlich Defekte von Kassenbeamten oder Materialien-Verwaltern
niederzuschlagen und dafür verantwortliche Aufsichtsbeamte außer Ver-
bindlichkeit zu setzen. Durch §8 18, 37, 38 des Ges. v. 11. Mai 1898
(Ges. S. S. 77) hat diese Praxis eine gesetzliche Bestätigung gefunden; val.
auch v. Rönne Preußisches Staatsrecht IV S. 744 f. Weder aus der Reichs-
verfassung noch aus irgendeiner reichsgesetzlichen Bestimmung ist zu schließen,
daß durch die Errichtung des Reichs von diesen Rechten der Preußischen
Krone etwas verloren gegangen ist. So weit diese Kabinettsordres die
Militärverwaltung betreffen, erläßt sie der König von Preußen als Kon-
tingentsherr nach wie vor im Bereiche des preußischen Kontingents. Soweit
sie sich auf eigene Verwaltungszweige des Reichs beziehen, erläßt fie der
Kaiser, weil es ein staatsrechtliches Gewohnheitsrecht ist, daß dem Kaiser
das Recht zu denjenigen Gnadenakten zusteht, die vor der Gründung des
Reichs der Landesherr für den betreffenden Verwaltungsakt ausübte. Auf
dem Gebiete der Reichsverwaltung erstrecken sich die justifizierenden Kabinetts-
ordres, deren finanzielle Bedeutung übrigens nur sehr gering ist, namentlich
auf die Niederschlagung von Ansprüchen des Reichs wegen überhobener
Pensionen und von Regreßansprüchen gegen Beamte der Post und Telegraphie
sowie der Reichs = Eisenbahnverwaltung und find sachlich dadurch begründet,
daß in den gegebenen Fällen die rücksichtslose Geltendmachung der Ansprüche
des Reichsfiskus nicht der Billigkeit entsprechen würde. Die auf dem Gebiet
der eigenen Verwaltung des Reichs erlassenen justifizierenden Kabinettsordres
werden vom Reichskanzler, die auf dem Gebiete der Militärverwaltung von
dem betreffenden Kontingentsherrn erlassenen Ordres von dem zuständigen
Kriegsminister gegengezeichnet. Der Reichskanzler übernimmt aber auch für
die finanzielle Wirkung dieser Ordres die Verantwortung; sie werden im
Einverständnis mit ihm herbeigeführt und formell kommt die Verantwortung
des Reichskanzlers dadurch zum Ausdruck, daß die durch die Ordres nieder-
geschlagenen Posten in die vom Reichskanzler zur Entlastung vorzulegenden
Rechnungen anfgenommen werden. Entsprechend einem Beschlusse des
42#