Full text: Regierung und Volkswille.

20 Proportional- Wahl. 
ein Napoleon. Man sann nach, wo der Fehler stecken könne, 
und Mill suchte endlich die Rettung in dem Prinzip der 
Proportionswahl, für die eben Hare das erste System aus- 
arbeitete. Das Repräsentatiosystem leidet ja an dem funda- 
mentalen Fehler, daß der Wähler seinen Vertrauensmann 
doch immer nur nach einer oder einigen bestimmten, gerade 
im Augenblick besonders hervorstechenden Eigenschaften oder 
Tendenzen zu bestimmen vermag, während er vieles andere, 
der eine dies, der andere das, nicht vertreten findet, oder 
sogar, obgleich seinen Wünschen widersprechend, in den Kauf 
nehmen muß. Besonders wenn die Repräsentation sich auf 
eine Reihe von Jahren erstreckt, kann es nur zu leicht vor- 
kommen, daß sich Wähler und Gewählte immer mehr von- 
einander entfernen. Schon Rousseau hat diesen Fehler des 
Wahlrepräsentativsystems richtig erkannt und es deshalb im 
„Contrat social“ ausdrücklich verworfen. Er kennt nur das 
Volk, das unmittelbar selbst regiert. Freilich, sagt er, daß 
das wohl nur bei sehr kleinen Gemeinwesen ausführbar 
ist. Aber weiter als bis zur Fragestellung ist er nicht ge- 
langt. Er hat das Problem gesehen, aber keine Lösung dafür 
gefunden und deshalb die Frage stillschweigend fallen lassen. 
Mill ging in seinem Zweifel nicht einmal so weit, sondern 
blieb stehen bei dem noch mehr zutage liegenden Einwurf, 
daß ja in sämtlichen Wahlkreisen des Landes die Mineritäten 
bei dem bestehenden System völlig ausgeschaltet und mundtot 
gemacht seien. Diese Minoritäten konnten ja der Majorität 
oft ganz nahe kommen, so daß der Ausgang der Wahl für 
das ganze Land schließlich dem Zufall anheimgegeben ist, 
wie sich die Anhängerschaft der verschiedenen Parteien über 
die verschiedenen Wahlkreise verteilt. An der Wahl des 
Präsidenten Wilson haben wir ja schon ein Beispiel dafür 
kennen gelernt.
	        
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