Schäden der
Verwaltung
infolge der
Majoritäts-
Wahlen.
24 Parlamentarismus
so viele im Innern denken: In den kleinen Wahlkreisen hat
der Wähler eine zu große Furcht, um sich immer der Herr-
schaft gewisser Interessen, die mit den allgemeinen Interessen
im Widerspruch stehen, entziehen zu können. Die Wahl-
reform müßte die Vorrede zu einer Verwaltungsreform
werden.“ Herr Poincaré hat nichts Demagogisches an sich;
er ist eine durchaus ernste Persönlichkeit, und wir werden
sein Zeugnis gelten lassen müssen. Seit 1906 hat sich auch
die Wählerschaft wiederholt zugunsten des Proporzes aus-
gesprochen. Nicht weniger als sechs Regierungen hintereinander
sind dafür öffentlich eingetreten. Aber die Gegner haben
bisher alle Anstrengungen zu durchkreuzen vermocht. Die
Gegner sind eben die jetzigen Inhaber der Gewalt. Der
Abgeordnete eines Bezirks, sei es in der Deputiertenkammer,
sei es im Senat, ist in diesem Bezirk der absolute Herr.
Die Beamten gehorchen seinem leisesten Wink, vom Präfekten
an abwärts. Denn wenn sie den Unwillen des Deputierten
erregen, würde dieser sich beim Minister beschweren können,
und da der Minister wieder von den Stimmen der Depu-
tierten abhängig ist, so wäre es um den steifnackigen
Beamten bald geschehen. Nach der Empfehlung des Depu-
tierten werden die Anstellungen vollzogen. Nach den Emp-
fehlungen des Deputierten werden die Staats- und Gemeinde-
lieferungen vergeben. Ein Deputierter weiß Aufschub zu
erlangen oder zu verhindern, handle es sich um eine Strafe,
oder sei es bei der Aushebung, Urlaub zu verschaffen und sogar
Gerichtsurteile zu beeinflussen*). Besonders verhängnisvoll
hat sich diese Abhängigkeit der französischen Verwaltung von
*) Sehr eingehend ist der verderbliche Einfluß des Parlamentarismus
auf die Verwaltung jüngst geschildert in den beiden Bändchen von
Emile Faguet: „Le culte de ’Incompétence und I'Horreur de
la Responsabilité“. Paris. Bernh. Grasset.