Proporz und
Volkswille.
Reserendum.
28 Proporz.
Wähler, auch der kleine Mann, ein gewisses persönliches
Urteil bilden. über eine Liste von vielleicht sechs, zehn oder
noch mehr Kandidaten gibt es schlechterdings kein eigenes
Urteil mehr. Der Proporz entzieht also die Wahl sozusagen
dem Volke und gibt sie in die Hand der Wahlorganisationen
der Parteien, das heißt ihrer Führer. Der einzelne Ab-
geordnete ist nicht mehr der Herr, sondern wird dienendes
Glied in der Parteiorganisation. Damit verliert er auch
jenen verderblichen Einfluß auf die lokalen Verwaltungs-
behörden, vor dem Poincaré sein Volk zu bewahren wünscht.
Man sieht, die Reform ist in der Tat von erheblicher Trag-
weite. Aber die Vorstellung, daß der Wille des Volkes ver-
möge des Proporzes besser zum Ausdruck kommt, erweist
sich sofort wieder als eine Illusion. Das gerade Gegenteil
ist der Fall. Nicht die Demokratie wird auf diesem Wege
vollendet, sondern die Herrschaft eines gewissen, sich selbst
ergänzenden Kreises von Berufspolitikern wird damit or-
ganisiert.
Die Erkenntnis der Mängel des Repräsentativsystems
hat neben der Idee der Proportionalvertretung noch ein
anderes Korrektiv hervorgelockt, das man das Referendum
nennt, d. h. die unmittelbare Abstimmung des Volkes über
einen bestimmten Gesetzvorschlag. Der Sache nach fanden
solche Abstimmungen schon in der großen französischen Re-
volution statt. Die Verfassungen von 1791 und 1793
wurden ebenso wie nachher die Wahl des Generals Bona-
parte durch allgemeine Abstimmung gutgeheißen. Auch die
Volksabstimmung bei der Konstituierung des Königreichs
Italien, von der wir gesprochen haben, können wir ja als
Beispiel des Referendum nennen. Heute ist das Referendum
fest eingebürgert in der Schweiz, sowohl im Bunde, wie in
Kantonen, wie in Gemeinden. Die erste Einführung fand