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tschnau, besonders in den Kreisen nnseres Schutzgebietes. Die Einwanderer sind noch
an der Sprache und verschiedenen Eigentümlichkeiten zu erkennen. Die Familie meines
ehemaligen Lehrers in Tsingtau stammte ans Yünnan.
Im Aufange wurde schon erwähnt, daß die Größe von Schantung auf 144,000 qkm,
ihre Einwohnerzahl auf 38 Millionen angegeben wird, das würde einer Dichtigkeit von
rund 260 Einwohnern auf 1 qkm entsprechen (Rheinprovinz). Da die Gebirge ½ des
Areals ausmachen und nur dünn bevölkert sind, so kann man sich einen Begriff von der
Dichtigkeit machen. Für deutsche Ansiedler ist also kein Platz vorhanden. In unserem
Schutzgebiet fand unmittelbar nach der Besitzergreifung eine Aufnahme sämtlicher
Dörfer und eine Schätzung ihrer Einwohner statt, die ein Ergebnis von 84 000 Seelen
hatte, also einer Dichtigkeit von 163 Einwohnern auf 1 qkm entsprach. Die im Mai 1910
zum ersten Male durchgeführte Volkszählung ergab eine ansässige Bevölkerung von
161 140 Seelen, also 296 auf 1qkm.“) Dies entspräche dem dichtbevölkertsten Gebiete
unnseres Vaterlandes, dem Königreich Sachsen.
Die Bevölkerung wohnt in Dörfern, alleinstehende Gehöfte gibt es, abgesehen von
Klöstern, nicht. Die Häuser sind einstöckig gebant, nach Norden zum Schutz gegen die
kalten Winde geschlossen, Fenster und Türen nach Süden. Der Eigentümlichkeit der
gern für sich lebenden Chinesen entsprechend, sind die einzelnen Hänser mit einer Maner
umschlossen und beherbergen eine Familie in möglichst viel Generationen. In den
Städten ist es nicht anders; von außen mit hohen Manern umgeben machen sie einen
imponierenden Eindruck, im Innern ähneln sie einem Dorfe, manchmal einem sehr
verwahrlosten. Wenn dem Reisenden im Gegensatz zu dem sonstigen Schmutz die Rein-
lichkeit der Dorfstraßen anffällt, so hat das seinen Grund darin, daß der chinesische Land-
mann jeden Unrat und Abfall emsig sammelt — oft ein keineswegs appetitlicher Anblick—
um ihn als kostbaren Dünger für seinen Acker zu verwenden. Sonst ist der Chinese nicht
reinlich nach unseren Begriffen; auch die Bewohner von Schantung machen darin
keine Ausnahme, ebenso sind die einfachsten Regeln der Gesundheitspflege, dem tiefen
Stande der medizinischen Wissenschaft entsprechend, völlig unbekannt. Hierin Wandel
zu schaffen war eine schwere Aufgabe der deutschen Regierung, es galt unter möglichster
Schonung berechtigter Sitten und Gebräuche, einem Volke Wohltaten aufzuzwingen,
deren Sinn ihm zunächst völlig fremd sein mußte. In welcher Weise dies gelungen ist,
geigt die “□sse Entwicklung der Kolonie, die in dem folgenden Kapitel besprochen
werden soll.
Über die nichtchinesische Bevölkerung unseres Schutzgebietes liegen genauc Angaben
erst seit dem Jahre 1902 vor. Damals betrug ihre Zahl 688 Europäer und Amerikaner.
Im Juli 1913 fand die letzte Volkszählung statt, deren Ergebnis 2069 Europäer und
Amerikaner und 316 Japaner waren. Personen des Soldatenstandes waren 2401 vor-
handen. Die Hauptmasse wohnt in Tsingtau, das man also seiner weißen Einwohner-
zahl nach mit einer deutschen Kleinstadt vergleichen kann, dazu kommen noch die im
Stadtgebeit wohnenden 53 000 Chinesen.
Die wachsende Zunahme der nichtchinesischen Bevölkerung ist eine Folge der Be-
deutung Tsingtaus als Handelsplatz, denn von einer Siedelungskolonie kann, wie schon
mehrmals betont, keine Rede sein. Zu einem daueruden Aufenthalt in Ostasien entschließt
sich der Europäer nur in den seltensten Fällen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil
ist es, daß das Klima auch weißen Frauen den Aufenthalt gestattet, denn die Mischlings-
bevölkerung ist ein Krebsschaden jeder Kolonie. In der Behandlung dieses Problems
müssen wir uns als noch junge Kolonialmacht an englisches, also germanisches und nicht
an romanisches Vorbild halten. Ich verweise hierüber an einen Aufsatz des Direktors
des Orientalischen Seminars Prof. Dr. Sachau in der Internationalen Wochenuschrift,
1. Jahrgang, Nr. 7 „Die Eurasier“ betitelt.
*) Bei der Volkszählung im Juli 1913 wurde die chinesische Landbevölkerung nicht gezählt.
Schätzungsweise beträgt jetzt die chinesische Bevölkerung des ganzen Schutzgebieles ca. 187 000.