Von Universitätsprofessor Dr. Schmidlin, Münster i. W.
Stand und Entwicklung.
Unstreitig einer der wichtigsten Kulturfaktoren im deutschen Kolonial=
reich ist die christliche Heidenmission. Dem Alter wie dem Umfang nach übertrifft
sie die meisten anderen Kolonialunternehmungen und Kolonialorganisationen
staatlicher wie privater Natur, nicht bloß in religiöser Einwirkung, die ihre
innerste Sphäre ausmacht, sondern auch in kulturellen Leistungen materieller
wie geistiger Natur. Zwar besteht ihr Hauptziel, ihre spezifische Aufgabe in der
eigentlichen Christianisierung — und auch unter diesem Gesichtspunkt ist ihre
koloniale Bedeutung nicht gleichgültig; damit aber sind unzertrennlich verbunden,
teils als nebengeordnete Zwecke, teils als unentbehrliche Mittel, Kulturaufgaben
und Kulturarbeiten verschiedenster Art, launter Ausstrahlungen deutscher Kräfte
aus der Heimat in die Schutzgebiete, an denen die Betrachtung Dentschlands als
Kolonialmacht nicht vorübergehen kann; schon deshalb, weil sie uns in den Kolo-
nien auf Schritt und Tritt begegnen. Wie eine rationelle Kolonisation und Kolonial-
politik ihrerseits nicht bloß wirtschaftliche, sondern auch kulturelle und selbst
religiöse Beeinflussung und Hebung der Schutzgebiete und ihrer Bewohner auf ihr
Programm setzt, so verfolgt jede fortschrittliche Mission mit ihren rein religiösen
Zielen zugleich allgemein humanitäre. So sehr daher beide Unternehmungen an
sich getrennt und unabhängig voneinander sind, so berühren sie sich doch vielfach
und sind innigst auseinander angewiesen in ihren gemeinsamen Objekten und
Interessen und in ihrer Tätigkeit und ihrem Ergebnis. Wie die Mission der
Kolonialtätigkeit vieles verdankt, so kann sie umgekehrt als wertvolle Bundes-
genossin und Mitarbeiterin der Kolonisation dienen, wenigstens, wenn man letztere
nicht ausschließlich im brutal materialistischen Sinne faßt; denn vor allem die
Mission ist berufen und befähigt, die Kolonien geistig zu erobern und innerlich
anzugliedern.
Ihrem Ausgangspunkt und Träger nach wurzelt diese Missionsbetätigung in
der deutschen Heimat. Schon darum ist sie auch historisch aufs engste mit der
Kolonialbewegung verwachsen. Zwar entfaltete sich schon im Zeitalter der Ro-
mantik in Deutschland ein reger Missionssinn, aber erst unter dem Impuls der
Kolonial= und der damit verknüpften Antisklavereiströmung gelangte er zur vollen
Blüte und erhielt eine konkrete Richtung. Gleich beim Erwerb der deutschen
Kolonien entstand in den positiv gläubigen Elementen des deutschen Volkes das
eifrige Verlangen, den neu gewonnenen Ländern und Völkern mit der politischen
Annexion die Segnungen der christlichen Religion und Kultur zu übermitteln, wo-
möglich durch Missionare aus dem eigenen Volke. Dieses Verlangen führte ganz