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stande. Dernburg fügte ihr das Anfangsstück einer wirklichen Hinterlandbahn von
Lome bis zu dem ersten größeren Binnenplatz Atakpame hinzu, doch kann
keine Rede davon sein, daß diese noch nicht 200 km lange Strecke den Bedürfnissen
der Kolonie schon entspricht.
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Betrachten wir den jetzigen Stand des Eisenbahnwesens in unseren Kolonien
im Zusammenhange, sowohl was die Entstehung des Netzes als auch was seinen Ausbau
und die notwendigerweise noch zu verwirklichenden Linien betrifft, so heben sich zunächst
drei Perioden voneinander ab: die des absoluten Unverständnisses, in der fast alle von
kolonialer Seite kommenden Anregungen und Forderungen als zwecklos und phan-
tastisch abgelehnt wurden, bis zur Ubernahme der Kolonialverwaltung durch Stübel;
danach unter Stübel die Zeit des langsam errungenen Verständnisses und der stillen
erfolgreichen Grundlegung der meisten später verwirklichten kolonialen Bahnsysteme;
endlich unter Dernburg der entscheidende glückliche Anlauf, um vom Reichstage die
Mittel für die im wesentlichen während der Stübelschen Zeit teils in Aussicht genom-
menen, teils projektierten und bearbeiteten Linien zu erhalten. Bedauerlicherweise
wurde dabei Dernburg unter dem Druck der vorübergehend ungünstig erscheinenden
Finanzlage des Reiches vom Reichsschatzamt zu der Zusage gezwungen, daß bis 1915
keine neuen Eisenbahnforderungen für die Kolonien gestellt werden würden. Es soll
hier nichteverkannt werden, daß sich das Reichsschatzamt bei seiner fast stets verneinenden
und aufhaltenden Stellungnahme gegenüber der Entwicklung der Kolonien subjektiv
von der Uberzeugung pflichtmäßigen Ermessens hat leiten lassen; objektiv aber sind von
ihm bisher die stärksten Hinderungen für den kolonialen Fortschritt ausgegangen, die
sich nur dadurch erklären lassen, daß an der betressenden Stelle lange Zeit alle und jede
koloniale Anschanung gefehlt hat (und wenigstens, was die Tropenkolonien angeht,
auch heute noch fehlt). Andernfalls müßte man im Reichsschatzamt berücksichtigen,
daß ein großer Teil der kolonialen Ausgaben nicht nur äußerlich, sondern auch den
Ursachen nach von den heimischen verschieden ist, insofern nämlich, als es unmöglich ist,
ohne ein gewisses Mindestmaß von Auslagen und Investierungen überhaupt zu einem
normalen wirtschaftlich-finanziellen Ertrag des Kolonialwesens zu gelangen. Gegen-
über kolonialen Anforderungen darf also die Fragestellung grundsätzlich nicht lauten:
aufschiebbar oder nicht aufschiebbar? sondern, stets: der wirtschaftlichen Entwicklung
dienend oder nicht dienend? Wie starke, jedem Kenner der Kolonien unverständliche
Irrtümer in dieser Beziehung möglich sind, sobald eine in kolonialen Dingen anschanungs-
lose Stelle die Entscheidung hat, geht unter anderem aus dem Beispiel hervor, das fast
zu peinlich wäre, um wiedererzählt zu werden, wenn es nicht schon in dem vorjährigen
Berichtband der Handelskammer für Südkamerun veröffentlicht wäre: die Verwaltung
habe den langsamen Fortschritt und die geringen Aufwendungen für die Förderung
der Eingeborenen-Exportkulturen in Südkamernn, Kautschuk, Olfrüchte, Kakao usw.,
damit entschuldigt, das Reichsschatzamt hätte keine genügenden Mittel hierfür bewilligt!
Koloniale Eisenbahnen sind aber grundsätzlich noch wichtiger als koloniale Export-
kulturen, denn deren Produkte können überwiegend erst mit Hilfe von Bahnen zur
Anssuhr gebracht werden. Ze schneller man den Kolonien hilft, das Stadium zu über-
winden, in dem sie Kapital importieren müssen, um ausgeschlossen zu werden, desto
eher wird man die Periode der kolonialen Ansprüche zu Ende gehen und die der kolonialen
Erträge beginnen sehen. Natürlich bleibt es darum dabei, daß Kapitalein fuhr
nur gestundete Waren ausfuhr ist, wie v. Schultze-Gävernitz gesagt hat, aber der
Entschluß zur Stundung und Kapitalhilse, um dadurch das Aussuhrziel schneller und
wirksamer zu erreichen, der eben ist es, an dem man die kolonialwirtschaftliche und
kolonialpolitische Erfahrung erkennt. Niemand hat Größeres nach diesem Prinzip
erreicht als die erste Kolonialmacht: England.