Full text: Deutschland als Kolonialmacht.

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Unmittelbar aktuell ist die zu zweit angeführte der ostafrikanischen Eisenbahnfragen: 
die Rnandabahn. Der gegenwärtige Gouverneur von Ostafrika befürwortet 
eine Trasse, die von der Zentralbahn ausgeht und Ruanda von Südosten erreicht; gleich- 
zeitig soll diese auch einen Seitenzweig zum deutschen Ufer des Victoriasees entsenden. 
Andere Kenner jenes Gebietes erheben hiergegen Widerspruch und verlangen teils 
eine andere Linienführung, als der Gouverneur sie vorschlägt, teils wollen sie überhaupt 
nicht direkt von der Zentralbahn aus nach Ruanda gelangen, sondern mit einer kurzen 
Linie vom Ostufer des Sees aus, während dieser selbst durch eine Bahn Tabora— 
Muansa an die Hauptbahn Daressalam—Tanganjika angeschlossen werden soll. Nach 
allem, was bisher an Gründen herüber und hinüber geltend gemacht worden ist, kann 
man nicht sagen, daß es einer Partei geglückt ist, mit ihren Argumenten überzeugend 
zu wirken. Es ist möglich, daß das offizielle Projekt genügende Gründe für sich hat, 
aber bevor man ihm beipflichtet, müßten die Einwände entkräftet sein: erstens, daß 
eine deutsche Bahnverbindung zwischen der ozeanischen Küste und dem Seeurfer, die 
mit einem so außerordentlichen Umwege an den See gelangt, wie die Abzweigung 
von der Ruandabahn nicht imstande sein wird, mit der Ugandaeisenbahn zu konkur- 
rieren; zweitens, daß die Gouvernementstrasse nach Ruanda große Strecken wertlosen 
Landes durchzieht; drittens, daß das Projekt von Tabora zum See und'vom See nach 
Ruanda billiger ist und die Möglichkeit eines Wettbewerbes für Frachten aus dem 
Seegebiet mit der Ugandalinie dankbarer erscheinen läßt. Ruanda ist ein so wichtiges 
Objekt und erfordert so sehr das Bewußtsein erhöhter Verantwortlichkeit der Entschlüsse 
über seine Angliederung an den großen Verkehr, daß man hier ausnahmsweise einmal 
zu größerer Bedenklichkeit in der Ausführung des einen oder des anderen Planes raten 
kann und jedenfalls die Entscheidung solange vertagen sollte, bis es auf Grund ein- 
wandfreien Beobachtungsmateriales möglich ist, alle Möglichkeiten, die in Betracht 
kommen, sachlich-kritisch zu vergleichen. Demgegenüber kann das Argument nicht ins 
Gewicht fallen: die Firma, die die Zentralbahn baut, hat jetzt ihren ganzen Apparat 
im Lande, undswenn wir uns nicht schnell für eine bestimmte Trasse der Ruandabahn 
entscheiden, so muß sie ihre Ingenieure und Arbeiter nach Hause schicken und ihren 
Arbeitsbetrieb auflösen. Die Firma wird das auf keinen Fall tun, auch wenn sie weiß, 
daß der Baubeginn sich ein halbes Jahr über die Beendigung der Arbeiten an der 
Zentralbahn, die noch gar nicht fertig sind, hinaus verzögerte. Sie kann ja dafür viel- 
leicht eine angemessne Vergütung empfangen. Ruanda wird mit Urundi und Uhha 
auf ca. 4 Millionen Einwohner geschätzt. Angesichts der großen Schwierigkeiten, in 
einem afrikanischen Gebiete exakte Berechnungen über die Volkszahl anzustellen 
und angesichts der erfahrungsmäßigen unbewußten Neigung zum ziffernmäßigen 
Uberschätzen von Eingeborenenbevölkerungen, fällt es sehr schwer, zu glauben, daß 
wirklich die Hälfte der Eingeborenen von ganz Ostafrika in dieser einen Ecke wohnen 
soll, die noch nicht ein Zehntel so groß ist wie das Ganze. Man kann aber etwas zweifelnd 
sein in betreff der 4 Millionen, und doch ans der zweifellosen Tatsache, daß Ruanda 
und seine Nachbargebiete viel dichter bewohnt sind als das übrige Ostafrika, die 
Folgerung ziehen, daß es auf jeden Fall erschlossen werden muß. Es ist nicht nur ein 
menschenreiches, sondern auch ein gesundes, fruchtbares, für die weiße Rasse besied- 
lungsfähiges Land, gerade die große Zahl und kriegerische Stärke seiner Eingeborenen 
nötigt uns, mit der größten Vorsicht an praktische Versuche mit deutschen Ansiedelungen 
in kolonisatorischem Sinn heranzutreten. Es gehört dazu eine starke und unmittelbar 
gegenwärtige Verwaltungsautorität, um Zusammenstößen zwischen Schwarz und Weiß 
vorzubeugen, und einer nicht zu geringen militärischen Besatzung. Fürs eine wie fürs 
andere muß es Bahnverbindung mit dem Hauptkörper der Kolonie geben, und erst recht 
ist eine solche erforderlich, um die Einrichtung der Wirtschaftsbetriebe der Ansiedler 
zu erleichtern und später ihre Produkte abzutransportieren. Die Ruandabahn ist also 
eine Notwendigkeit, aber ihre Ausführung darf nicht übers Knie gebrochen werden. 
Am meisten strittig unter den ostafrikanischen Projekten ist die Verlängerung 
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