bezeichnet wird: man dürfe den deutschen Verkehr vom Victoriasee nicht über
die englische Ugandabahn gehen lassen. Es ist besser, die Ugandabahn entwickelt,
wie sie das bisher getan hat, das deutsche Seegebiet mit und kommt dabei auf ihre
Kosten, als daß eine deutsche Linie fertiggestellt wird, bloß damit sie da ist, und als
landwirtschaftlicher Effekt dann ein Tariflampf beginnt, bei dem weder unsere noch die
englische Bahn gedeiht. Leben und leben lassen gilt, wo keine durchaus zwingenden
Interessen entgegenstehen, am besten auch für das Verhältnis der kolonisierenden Na-
tionen in Afrika und sonst auf der Welt.
Das Schmerzenskind in unserem kolonialen Verkehrswesen ist Kamerun.
Nirgends sind die elementaren Grundsätze kolonial-wirtschaftlicher Entwicklungspolitik
bisher so vernachlässigt worden und nirgends hat sich die Vernachlässigung so gerächt
wie hier. Fehler haben wir in allen Kolonien gemacht, aber wenn man von der ver-
hängnisvollen, teilweise nie wieder gutzumachenden Verschlenderung öffentlicher und
allgemeiner Rechte an die privilegierten Kolonialgesellschaften in der ersten Zeit nach
dem Erwerb der Kolonien absieht, so waren die Fehler bei dem Mangel an kolonialer
Erfahrung begreiflich und mitunter vielleicht unvermeidlich. In Kamernn aber sind
Versäumnisse begangen worden, wo eine sorgsame und keineswegs unerreichbare Er-
wägung schon seit Jahr und Tag dazu hätte führen sollen, der für die Zukunft der Kolonie
gefähmichen Entwicklung der Dinge durch besseren und schnelleren Ansbau der Ver-
kehrsmittel entgegenzutreten. Die Hauptschuld daran tragen weniger die einzelnen
Personen als der fortgesetzte Wechsel der Personen an den leitenden Stellen.
Hört man die programmatischen Außerungen der Gouverneure zu allerlei kolonialen
Lebensfragen, die hier und da der Offentlichkeit zugänglich wurden, so scheint kein
Zweifel an den guten Einsichten und Absichten möglich; sieht man sich um, was wirklich
geschehen ist, so ist es so wenig, daß man den Zusammenhang erst begreift, wenn man
sich klar macht, daß seit Anfang 1906 keine einzige der Persönlichkeiten, die Kamerun
ordentlicher oder stellvertretender Weise verwaltet haben, solange auf ihrem Posten
geblieben ist, daß sie irgendein Programm, mag es so oder so geartet gewesen sein, hätte
verwirklichen können. #
Uberall im tropischen Afrika ist die Güterbewegung znnächst auf den Transport
durch Träger angewiesen gewesen, und überall hat man bald erkaunt, wie tener, zeit-
raubend und schädlich für die Eingeborenen das Trägerwesen ist. Wo es reichliches
Trägermaterial gibt, wie in Ostafrika durch den, man könnte sagen, geborenen Träger-
stamm der Wanjamwesi, da sind die Schäden nicht so groß; in Kamernn aber verlangt
auf der einen Seite der Kautschunkhandel massenhaft Träger, um den Gummi aus dem
entfernten Innern an die Küste, die enropäischen Handelswaren von der Küste ins Innere
zu schaffen, und auf der anderen Seite ist die Bevölkerung nicht entfernt so zahlreich,
daß sie die verlangten Trägermengen ohne schwere Schäden für ihre kulturelle und
moralische Entwicklung hergeben könnte. Amtlich schätzt man die durchschnittliche An-
zahl der Träger, die allein in Südkamernn fortdanernd mit Gummi= und Waren-
transporten nuterwegs sind, auf etwa 80 000, und das bei einer Gesamtbevölkerung
in den Hauptträgerdistrikten, die nicht stärker sein wird als einige Hunderttausend Köpfe.
Die Folge ist, daß auch die Weiber mittragen, nicht nur gelegentlich einige Lasten in der
Nähe, sondern zusammen mit den Männern wochen= und monatelang auf weite
Entfernung. Das wirkt höchst schädlich auf Volksvermehrung und Bodenbestellung,
die im tropischen Afrika hauptsächlich Weibersache ist. Außerdem hat man beobachtet,
daß zusammen mit dem Trägerwesen die Geschlechtskrankheiten sich in gefährlicher Weise
ansbreiten und auf diese Weise ein nenes Hindernis der Volkszunahme, ja ein direkter
Nückgang der Geburten und der Bevölkerungszahl entsteht. Die im Verhältnis zu der
geringen Volksdichte in Südkamerun übermäßige Ansdehnung der Trägertrausporte
wirkt außerdem demoralisierend auf die Eingeboreuen, weil sie von aller regelmäßigen
Arbeit entwöhnt werden, lieber danernd auf der Landstraße liegen und neue Kulturen
weder anlegen wollen noch können.